© Sergio Ortiz/Amnesty International
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presse

USA: Mehr Familien getrennt als bisher bekannt

11. Oktober 2018

Zusammenfassung

  • Aktuelle Amnesty-Recherchen dokumentieren schockierende neue Zahlen zu Familientrennungen an der Grenze USA/Mexiko
  • Seit 2017 wurden mindestens 8.000 Familieneinheiten auseinandergerissen. Allein von Mitte April bis Mitte August 2018 waren es mehr als 6.000

Die US-Regierung verfolgt bewusst eine Einwanderungspolitik, die katastrophale Auswirkungen auf Tausende Menschen hat, die in den Vereinigten Staaten Sicherheit suchen. Aktuelle Amnesty-Recherchen zeigen, welche Auswirkungen die Bemühungen der Regierung Trump haben, das US-Asylrecht unter grober Verletzung von US-Recht und Völkerrecht auszuhöhlen und zu demontieren.

Dazu gehört die Trennung von über 6.000 Familieneinheiten (ein Begriff, den die US-Behörden uneinheitlich verwenden, um ganze Familien oder einzelne Familienmitglieder zu bezeichnen) innerhalb von vier Monaten – mehr, als die Behörden bisher bekannt gegeben haben.

Die Regierung Trump führt eine bewusste Kampagne umfassender Menschenrechtsverletzungen durch, um Menschen zu bestrafen und abzuschrecken, die an der Grenze zwischen den USA und Mexiko Schutz suchen.

Erika Guevara-Rosas, Expertin für die Region Amerikas bei Amnesty International

„Die Intensität und das Ausmaß der Menschenrechtsverletzungen an Asylsuchenden sind entsetzlich. Kongress und Strafverfolgungsbehörden der USA müssen unverzüglich, gründlich und unparteiisch ermitteln, um die Regierung zur Verantwortung zu ziehen und sicherzustellen, dass sich dies nie wieder wiederholt.“

Der neue Bericht dokumentiert anderem folgende Maßnahmen und Vorgehensweisen:

  • massive, rechtswidrige Rückführungen von Asylsuchenden an der Grenze zwischen den USA und Mexiko,
  • Tausende illegale Familientrennungen und
  • zunehmend willkürliche und unbefristete Inhaftierungen von Asylsuchenden, oft ohne die Möglichkeit, unter Auflagen freigelassen zu werden.

Etwa 8.000 Familieneinheiten wurden 2017 und 2018 getrennt

Im vergangenen Monat ließ die US-amerikanische Zoll- und Grenzschutzbehörde CBP Amnesty International wissen, dass sie allein vom 19. April bis 15. August 2018 über 6.000 sog. Familieneinheiten gewaltsam getrennt hat – mehr als die US-Behörden zuvor zugegeben hatten.

Wie die CPB bestätigte, blieb dabei eine unbekannte Anzahl von Familien unberücksichtigt, deren Trennung nicht ordnungsgemäß erfasst wurde. Dazu gehören beispielsweise Großeltern oder nicht unmittelbare Familienangehörige, deren Verwandtschaftsverhältnis von den Behörden als „betrügerisch“ eingestuft und statistisch nicht erfasst wird. Wie die Regierung Trump mittlerweile eingeräumt hat, wurden seit 2017 etwa 8.000 Familieneinheiten getrennt.

„Diese schockierenden neuen Zahlen deuten darauf hin, dass die US-Behörden entweder die Öffentlichkeit falsch informiert haben, wie viele Familien gewaltsam getrennt wurden, oder dass sie diese rechtswidrige Praxis trotz ihrer eigenen Behauptungen und der Gerichtsbeschlüsse, die Familientrennungen zu beenden, unvermindert fortgesetzt haben“, sagt Erika Guevara-Rosas.

„Der Kongress muss unverzüglich handeln, um die Familientrennungen durch die US-Regierungsbehörden umfassend zu untersuchen und zu dokumentieren, und Gesetze erlassen, die die Trennung und unbefristete Inhaftierung von Kindern und Familien untersagen.“

Extremes Leid, schwere Traumata

Das große Leid, das die US-Behörden durch die Trennung von Familien bewusst verursacht haben, erfüllt den Tatbestand der Misshandlung und in einigen Fällen auch der Folter.

Amnesty International hat 15 Eltern und Erziehungsberechtigte befragt, die durch die US-amerikanischen Grenz- und Einwanderungsbehörden von ihren Kindern getrennt wurden; darunter 13, die sich an offiziellen Grenzübergängen gemeldet hatten. Diese Familientrennungen führten zu extremem psychischen Leid und in einigen Fällen zu langfristigen Traumata bei Erwachsenen wie Kindern.

In einer Hafteinrichtung für Asylsuchende in Texas erzählte eine 39-jährige brasilianische Mutter namens Valquiria Amnesty International, dass Angehörige der CBP sie einen Tag, nachdem sie im März 2018 an einer offiziellen Einreisestelle Asyl beantragt hatte, ohne Angabe von Gründen von ihrem siebenjährigen Sohn getrennt hätten.

„Sie sagten mir: „Du hast hier keinerlei Rechte, und du hast kein Recht, bei deinem Sohn zu bleiben“, berichtet Valquiria. „In dem Moment bin ich gestorben. Es wäre besser gewesen, wenn ich tot umgefallen wäre ... Denn ich wusste nicht, wo mein Sohn war, was er gerade macht. Das ist das schlimmste Gefühl, das eine Mutter haben kann. Wie kann eine Mutter nicht das Recht haben, bei ihrem Sohn zu sein?“

„Behörden verstoßen unverhohlen gegen geltendes Recht“

In den Jahren 2017 und 2018 setzte die CBP eine De-facto-Politik um, bei der Tausende von Asylsuchenden an offiziellen Einreisestellen entlang der gesamten US-mexikanischen Grenze abgewiesen wurden.

„Jeder Mensch auf der Welt hat das Recht, vor Verfolgung oder schweren Menschenrechtsverletzungen Asyl zu suchen und Schutz in einem anderen Land zu beantragen“, erklärt Erika Guevara-Rosas.

„Die US-Grenzbehörden verstoßen unverhohlen gegen das US-amerikanische Asylrecht und das internationale Flüchtlingsrecht, indem sie Menschen nach Mexiko rückführen, ohne ihren Asylantrag aufzunehmen und darüber zu entscheiden. Menschen, die nach Mexiko zurückgeführt werden, können dort direkten Misshandlungen oder Abschiebungen und dem Risiko schwerer Menschenrechtsverletzungen in ihren Herkunftsländern ausgesetzt sein.“

Willkürliche Haft auch für Opfer sexueller Gewalt

Seit 2017 haben die US-Behörden auch eine Politik der obligatorischen und unbefristeten Inhaftierung von Asylsuchenden für die Dauer ihrer Asylanträge durchgesetzt. Dabei handelt es sich um willkürliche Inhaftierungen, die gegen geltendes US-Recht und das Völkerrecht verstoßen.

Amnesty International hat Asylsuchende befragt, die nach ihrem Antrag auf Schutz auf unbestimmte Zeit inhaftiert waren, darunter auch getrennte Familienangehörige, ältere Menschen und Personen mit akuten gesundheitlichen Problemen, die medizinische Versorgung benötigen.

Außerdem dokumentierte Amnesty Fälle von 15 transgeschlechtlichen und schwulen Personen unter den Asylsuchenden, die über Zeiträume von mehreren Monaten bis zu fast drei Jahren ohne die Möglichkeit einer Freilassung unter Auflagen inhaftiert waren. Dazu gehörten auch zwei Personen, denen die Freilassung verweigert wurde, obwohl sie in der Haft Opfer sexueller Übergriffe wurden. In mehreren Fällen erfüllte die unbefristete Inhaftierung den Tatbestand der Misshandlung.

„Es ist schlicht herzlos, dass die US-Behörden Menschen, die um Schutz vor Verfolgung oder Tod bitten, grundlos festhalten und damit ein Trauma auslösen“, sagte Erika Guevara-Rosas.

„Der Kongress muss sofort handeln, um die Inhaftierung von Kindern und Familien ein für alle Mal zu beenden – und alternative Optionen zu finanzieren, wie das Family Case Management Program, das sich als zu 99 Prozent als effektiv erwiesen hat und das asylsuchenden Familien hilft, die Anforderungen ihres Asylverfahrens zu verstehen und ihnen nachzukommen.“