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Amnesty International dokumentierte systematisch rücksichtlose und willkürliche Polizeitaktiken während der Proteste in Hongkong
Menschen in Polizeigewahrsam wurden brutal geschlagen und misshandelt – Amnesty liegen auch Beweise für Folter vor
Amnesty fordert dringend eine unabhängige, unparteiische Untersuchung sowie Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die Betroffenen
Hintergrundinformationen und Analysen der Recherche auf Englisch
Aktuelle Recherchen von Amnesty in Hongkong zeigen: Polizeikräfte gehen im Zuge der anhaltenden Proteste bei Festnahmen systematisch rücksichtslos und willkürlich vor. Außerdem liegen Amnesty Beweise für Folter und andere Formen der Misshandlung in Haft vor.
Amnesty-Mitarbeiter*innen haben fast zwei Dutzend Personen befragt, die in Hongkong festgenommen wurden. Neben diesen Interviews haben sie unterstützendes Beweismaterial sowie Zeug*innenaussagen von Rechtsbeiständen, medizinischem Personal und weiteren Beteiligten ausgewertet.
„Das unverhältnismäßige Durchgreifen der Ordnungskräfte in den Straßen von Hongkong wurde live in die ganze Welt übertragen. Doch zahlreichen Übergriffe, die außer Sichtweite stattfinden, werden weit weniger wahrgenommen“, sagt Nicholas Bequelin, Regionaldirektor für Ostasien bei Amnesty International in Hongkong, und sagt weiter:
Die Beweise lassen wenig Raum für Zweifel: Offensichtlich setzen die Hongkonger Sicherheitskräfte systematisch rücksichtslose und willkürliche Taktiken gegen die Protestierenden ein. Dazu gehören sowohl willkürliche Festnahmen als auch Vergeltungsmaßnahmen gegen Menschen in Gewahrsam. Einige Übergriffe sind mit Folter gleichzusetzen.“
Nicholas Bequelin, Regionaldirektor für Ostasien bei Amnesty International in Hongkong
Amnesty International fordert eine umgehende und unabhängige Untersuchung der dokumentierten Menschenrechtsverletzungen.
„Angesichts des Ausmaßes der begangenen Menschenrechtsverletzungen ist deutlich, dass die Hongkonger Polizei nicht länger gegen sich selbst ermitteln und Lösungen für die weitverbreitete rechtswidrige Unterdrückung der Proteste finden kann. Amnesty International fordert eine unabhängige, unparteiische Untersuchung sowie Gerechtigkeit und Wiedergutmachung für die Betroffenen. Es gibt wenig Vertrauen in bestehende interne Mechanismen, wie die unabhängige Beschwerdestelle der Polizei (Independent Police Complaints Commission – IPCC)“, sagt Nicholas Bequelin.
Auslöser der Massendemonstrationen in Hongkong waren geplante Gesetzesänderungen. Sie hätten die Auslieferung von Straftatverdächtigen an das chinesische Festland ermöglicht. Im Laufe der Proteste wurden mehr als 1.300 Menschen festgenommen.
Während die überwiegende Mehrzahl der Protestierenden sich friedlich verhielt, kam es auch zu Zusammenstößen. Durch die völlig unverhältnismäßige Gewaltanwendung der Polizeikräfte eskalierte die Lage weiter. Aus Angst vor Repressalien durch die Behörden wollten die meisten Gesprächspartner*innen von Amnesty International anonym bleiben.
Aus den Gesprächen mit Personen, die während der Proteste festgenommen worden waren, und deren Anwält*innen geht hervor: Der Großteil der gewalttätigen Übergriffe durch Polizeikräfte fand vor oder während einer Festnahme statt. In mehreren Fällen wurden Protestierende in Gewahrsam brutal geschlagen und misshandelt – bis hin zu Folter. Häufig wurden diese Misshandlungen als „Strafe“ für vermeintlichen Widerspruch oder unkooperatives Verhalten ausgeübt.
So berichtete ein Mann, dass er im August nach seiner Festnahme bei einem Protest in den New Territories auf einer Polizeiwache festgehalten worden sei. Nachdem er sich bei der Beweisaufnahme geweigert hatte, eine Frage zu beantworten, wurde er von mehreren Beamt*innen in ein Nebenzimmer gebracht. Dort schlugen sie ihn zusammen. Als er versuchte, sich zu schützen, drohten die Polizeikräfte, ihm die Hände zu brechen.
„Ich spürte, wie mir jemand mit einem sehr harten Gegenstand auf die Beine schlug. Dann drehte mich einer [ein Beamter] um und kniete sich auf meine Brust. Ich spürte den Schmerz in meinen Knochen und konnte nicht atmen. Ich versuchte, zu schreien, aber ich konnte weder atmen noch sprechen“, berichtete er.
Während der Mann auf dem Boden festgehalten wurde, zwang ihn einer der Beamt*innen, die Augen zu öffnen und blendete ihn mit einem Laserstift. Dabei fragt der Polizist: „Es gefällt dir wohl, mit sowas auf Leute zu zielen?“ Offensichtlich handelte es sich um eine Vergeltungsmaßnahme, da einige der Protestierenden während der Demonstrationen mit Laserstiften herumgeleuchtet hatten. Später musste der Mann wegen einem Knochenbruch und inneren Blutungen mehrere Tage lang stationär im Krankenhaus behandelt werden.
Amnesty International interviewte einen weiteren Mann, der an einem anderen Tag im August in Sham Shui Po festgenommen worden war. Der ihn festnehmende Beamte forderte ihn mehrmals auf, zur Überprüfung sein Mobiltelefon zu entsperren. Als er sich weigerte, drohte der Beamte dem Festgenommenen mit Elektroschocks an den Genitalien. Der Mann berichtete Amnesty International, dass er Angst gehabt habe, der Beamte könne seine Drohung wahr machen. „Die Zeiten sind so verrückt, dass ich alles für möglich halte.“
Während er in einem Gemeinschaftsraum der Polizeiwache festgehalten wurde, erlebte der Mann mit, wie Polizeibeamt*innen einen Jungen zwangen, einen Laserstift 20 Sekunden auf sein eigenes Auge zu richten. „Offenbar hatte er mit dem Laserstift die Polizeiwache angeleuchtet“, erinnert sich der Mann. „Sie sagten: ‚Wenn du den Stift so gern auf uns richtest, warum richtest du ihn nicht auch mal auf dich selbst?“
Amnesty International dokumentierte außerdem ein Muster an unnötiger und unverhältnismäßiger Gewalt durch Polizeibeamt*innen während der Festnahme von Protestierenden. Dabei war die Bereitschaftspolizei und eine Spezialeinheit namens Special Tactical Squad (STS), bekannt als „Raptors“, für die größte Gewalt verantwortlich. Fast alle Interviewpartner*innen berichteten, dass sie bei ihrer Festnahme mit Schlagstöcken und Fäusten geschlagen worden seien, selbst wenn sie keinen Widerstand leisteten.
Eine junge Frau, die im Juli bei einer Protestveranstaltung in Sheung Wan festgenommen worden war, war eine der vielen Protestierenden, die beschrieb, dass sie von hinten mit einem Schlagstock geschlagen wurde, als sie vor einem Polizeikommando wegrannte. Sie wurde zu Boden geschlagen und die Polizei schlug auch noch auf sie ein, als ihre Hände bereits gefesselt waren.
In ähnlicher Weise beschrieb ein Mann, der bei einer Protestveranstaltung in Tsim Sha Tsui im August festgenommen worden war, wie er sich zurückzog und dann rannte, als die Polizei in die Versammelten hineinstürmte. Er berichtete Amnesty International, dass die sogenannten Raptors ihn einholten und von hinten mit Schlagstöcken auf Hals und Schultern schlugen. Er gab an: „Ich wurde sofort zu Boden geschlagen. Drei von ihnen stürzten sich auf mich und drückten mein Gesicht mit Gewalt auf den Boden. Eine Sekunde danach traten sie mich ins Gesicht ... Dieselben drei STS drückten mich weiter zu Boden. Ich konnte nicht mehr richtig atmen und die linke Seite meines Brustkorbs tat mir sehr weh ... Sie sagten: ‚Halt einfach den Mund, hör auf so einen Krach zu machen‘.“
Laut seiner Krankenakte lag er daraufhin zwei Tage stationär im Krankenhaus und wurde wegen einer gebrochenen Rippe und anderen Verletzungen behandelt. In mehr als 85 Prozent der von Amnesty International untersuchten Fälle (18 von 21) wurde die festgenommene Person infolge der Schläge in ein Krankenhaus gebracht, drei Betroffene mussten mindestens fünf Tage stationär behandelt werden.
„Immer wieder waren die Polizeibeamt*innen vor oder während der Festnahme gewalttätig, selbst wenn die Person bereits gefesselt war. Die Gewaltanwendung war also eindeutig unverhältnismäßig und stellt einen Verstoß gegen internationale Menschenrechtsnormen dar“, sagte Nicholas Bequelin.
Amnesty International dokumentierte zudem zahlreiche willkürliche und rechtswidrige Festnahmen sowie viele Fälle, bei denen Polizist*innen den Inhaftierten den Zugang zu Rechtsbeiständen und medizinischer Versorgung verweigerten oder verzögerten. Der zeitnahe Zugang zu Rechtsbeiständen, Familienangehörigen und medizinischem Personal ist für Menschen in Gewahrsam ein wichtiger Schutzmechanismus gegen Folter und andere Misshandlungen.
Diese Erkenntnisse decken sich mit den Berichten von UN-Expert*innen angesichts der systematischen Angriffe und Festnahmen von Protestierenden durch die Hongkonger Polizei.