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Im Jahr 2020 erschütterte ein winziger Molekülhaufen die ganze Welt. Ein lokales Virus, mit bloßem Auge nicht zu erkennen, löste mit bemerkenswerter Geschwindigkeit eine globale Pandemie aus. Die Pandemie selbst und einige der Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung wirkten sich verheerend auf das Leben von Millionen Menschen aus. Sie machten zudem systematische Missstände und Ungleichheiten deutlich sichtbar, die teilweise auf rassistischer, geschlechtsspezifischer oder anderweitiger Diskriminierung beruhten, und verschärften diese teilweise sogar noch. Am härtesten wurden Bevölkerungsgruppen getroffen, die unter mehrfacher Diskriminierung litten. Die "Black Lives Matter"-Bewegung, Frauenbewegungen und andere Initiativen engagierter Menschen rückten diese Missstände und Ungleichheiten in den Mittelpunkt, prangerten sie lautstark an und erreichten dank ihrer Beharrlichkeit einige mühsam erkämpfte Siege. Die Pandemie machte auch schlagartig klar, wie massiv sich jahrelange politische wie wirtschaftliche Krisen und Versäumnisse, was das politische Handeln und die Zusammenarbeit auf globaler Ebene betraf, auf die Menschenrechte auswirkten. Einige Staaten verschlimmerten dies noch, indem sie sich ihrer Verantwortung entzogen oder multilaterale Institutionen attackierten. In drei Bereichen zeigte sich besonders deutlich, wohin diese Entwicklungen führen: zu Verletzungen der Rechte auf Leben, Gesundheit und sozialen Schutz, zu geschlechtsspezifischer Gewalt und eingeschränkten sexuellen und reproduktiven Rechten sowie zur vermehrten Unterdrückung Andersdenkender.
Währenddessen verübten Regierungstruppen und bewaffnete Milizen in seit Jahren andauernden wie neu ausgebrochenen Konflikten wahllose und gezielte Angriffe auf Zivilpersonen, töteten Tausende Menschen, verursachten Massenvertreibungen und humanitäre Krisen oder trugen zu deren Fortdauer bei. Obwohl es 2020 einige bemerkenswerte Schuldsprüche wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gab, blieb Straflosigkeit in Kriegs- wie Friedenszeiten die Regel, und in einigen Ländern wurde die Rechtsstaatlichkeit gezielt ausgehöhlt. Millionen Menschen litten unter Naturkatastrophen, die sich durch die Klimakrise noch verschärften. Das Bild das sich bot, war das einer Welt in Aufruhr. Dennoch haben die politisch Verantwortlichen die Chance, durch grundlegende Maßnahmen, die darauf abzielen, die Pandemie und andere Menschenrechtskrisen zu überwinden, die internationale Zusammenarbeit wiederzubeleben und eine gerechtere Zukunft zu gestalten.
28%
Amnesty dokumentierte im Jahr 2020 in mindestens 42 der 149 Länder, die der Amnesty Jahresbericht erfasst, Berichte über Schikanen und Einschüchterungen von medizinischem oder anderem exponierten Personal im Kontext der Pandemie. Das sind 28% der erfassten Länder.
56%
Amnesty verzeichnete im Jahr 2020 in mindestens 83 der 149 Länder, die der Amnesty Jahresbericht erfasst, Regierungsmaßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie, die marginalisierte Gruppen in Bezug auf ihr Recht auf Gesundheit oder andere Rechte diskriminierten. Das sind 56% Prozent der Länder.
16%
Amnesty dokumentierte im Jahr 2020 in mindestens 24 der 149 Länder, die der Amnesty Jahresbericht erfasst, Berichte über Festnahmen und/oder Inhaftierungen von LGBTIQ* wegen ihrer sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität. Das sind 26% der erfassten Länder.
Weltweit gab es im Jahr 2020 mindestens 1,8 Millionen Todesfälle in Zusammenhang mit dem Coronavirus. Die Gesundheitssysteme und Sozialprogramme waren durch jahrzehntelange Sparmaßnahmen geschwächt, völlig unvorbereitet und nicht gut genug ausgerüstet, um die Pandemie zu bekämpfen. Aufgrund der zunehmenden Arbeitslosigkeit und Nichterwerbstätigkeit sanken die Einkommen, während sich die Zahl der Menschen, die von Nahrungsmittelknappheit betroffen waren, auf 270 Millionen verdoppelte.
Die Regierungen schützten Beschäftigte im Gesundheitswesen und andere exponierte Arbeitnehmer*innen nicht ausreichend vor einer Infektion mit dem Coronavirus. Tausende starben, und viele weitere erkrankten schwer, weil es nicht genug persönliche Schutzausrüstung gab. Manche wurden festgenommen, entlassen oder sahen sich mit anderen Vergeltungsmaßnahmen konfrontiert, weil sie die Arbeitsbedingungen oder die mangelhafte Sicherheit am Arbeitsplatz kritisiert hatten. Amnesty International stellte fest, dass in 42 von 149 untersuchten Ländern staatliche Stellen das Gesundheitspersonal und andere exponierte Arbeitnehmer*innen in Zusammenhang mit der Pandemie drangsalierten oder einschüchterten. Häufig traf es weibliche Pflegekräfte, die weltweit 70 Prozent aller Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialsektor stellten und bereits zuvor aus geschlechtsspezifischen Gründen sehr schlecht bezahlt waren.
Einige der Maßnahmen, die von Regierungen ergriffen wurden, um die Pandemie zu bekämpfen, trafen benachteiligte Bevölkerungsgruppen besonders hart. Lockdowns und Ausgangssperren sorgten dafür, dass Arbeiter*innen im informellen Sektor ihre Einkünfte verloren, ohne auf angemessene soziale Sicherungssysteme zurückgreifen zu können. Weil in diesem Sektor mehrheitlich Frauen und Mädchen arbeiten, waren sie davon unverhältnismäßig stark betroffen. Die Umstellung des Bildungswesens auf Online-Unterricht ohne Bereitstellung der dafür notwendigen Geräte benachteiligte Schüler*innen und Studierende, die sich diese nicht leisten konnten. Frauen trugen die Hauptlast, was die Unterstützung der Kinder beim Homeschooling, die Versorgung kranker Angehöriger und andere unbezahlte Fürsorgeleistungen betraf, die sich daraus ergaben, dass öffentliche Einrichtungen geschlossen waren.
Die Corona-Pandemie verschlimmerte auch die zuvor schon kritische Situation von Geflüchteten und Migrant*innen, die teilweise in unhygienischen Lagern oder Hafteinrichtungen verbleiben mussten oder aufgrund von Grenzschließungen festsaßen. In 42 der 149 Länder, die Amnesty International beobachtete, gab es Berichte über Abschiebungen von Geflüchteten und Migrant*innen in Länder, in denen ihnen Menschenrechtsverletzungen drohten (Refoulement).
"Außergewöhnliche Zeiten verlangen nach außergewöhnlicher Führung. Im Jahr 2020 basierte die außergewöhnliche Führung nicht auf Macht, Privilegien oder Profiten. Sie basierte stattdessen auf den Beschäftigten im Gesundheitswesen, die an vorderster Front um jedes Leben kämpften. Sie basierte auf jenen, die sich um ältere Menschen kümmerten. Sie basierte auf Techniker*innen und Wissenschaftler*innen, die Millionen von Tests entwarfen und verzweifelt nach Impfstoffen suchten."
Dr. Agnès Callamard, internationale Generalsekretärin von Amnesty International
Während manche Regierungen Inhaftierte freiließen, um die Ausbreitung des Coronavirus einzudämmen, war das Risiko einer Infektion für Gefangene in anderen Ländern aufgrund von Überbelegung und unhygienischen Zuständen in den Hafteinrichtungen sehr hoch. In 42 der 149 von Amnesty untersuchten Länder gab es Berichten zufolge weiterhin rechtswidrige Zwangsräumungen, die das Infektionsrisiko der betroffenen Menschen stark erhöhten, weil sie obdachlos wurden.
In vielen Ländern litten ethnische Minderheiten und indigene Bevölkerungsgruppen unter unverhältnismäßig hohen Infektions- und Todesraten, was auch daran lag, dass sie benachteiligt und von der Gesundheitsversorgung ausgeschlossen waren. In einigen Ländern gab die politische oder religiöse Führungsriege benachteiligten Gruppen die Schuld und warf ihnen vor, das Virus zu verbreiten. In manchen südasiatischen Ländern trafen die Vorwürfe Muslim*innen, in einigen afrikanischen und europäischen Ländern zählten Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans- und Intergeschlechtliche (LGBTI) zu den Beschuldigten.
Als der Corona-Ausbruch offiziell zur Pandemie erklärt wurde, verwiesen die Staaten übereinstimmend darauf, dass es dringend nötig sei, sie einzudämmen, abzuschwächen und zu besiegen, ohne die Achtung der Menschenrechte zu vernachlässigen. Ein positiver globaler Ansatz war die Covax-Initiative der Weltgesundheitsorganisation (WHO), die eine möglichst faire weltweite Verteilung der Impfstoffe gewährleisten soll. Sie wurde jedoch von Russland und den USA untergaben, die sich nicht daran beteiligten, sowie von reichen Ländern, die Impfstoffe horteten, und von Unternehmen, die sich weigerten, ihr geistiges Eigentum zu teilen. Mehr als 90 Länder führten Exportbeschränkungen für medizinisches Gerät, persönliche Schutzausrüstung, pharmazeutische Produkte, Nahrungsmittel und andere Waren ein.
Reiche Staaten blockierten auch einen bei der Welthandelsorganisation (WTO) eingebrachten Vorschlag, einige Regeln zum Schutz des geistigen Eigentums vorübergehend auszusetzen, um Menschen weltweit den Zugang zu Corona-Impfstoffen zu ermöglichen. Im UN-Sicherheitsrat sorgte ein Streit zwischen den USA und China über die Nennung der WHO dafür, dass eine Resolution zu Corona drei Monate lang verschleppt wurde. In der Resolution wurde eine weltweite Unterbrechung von Kampfhandlungen gefordert, um sich auf die Bekämpfung der Corona-Pandemie konzentrieren zu können. Die G-20-Staaten verlängerten ein Schuldenmoratorium für die ärmsten Länder, wurden aber ihrem erklärten Ziel einer gemeinsamen, groß angelegten Reaktion nicht gerecht.
Um die internationale Zusammenarbeit zu bekräftigen und ihre Menschenrechtsverpflichtungen zu erfüllen, sollten alle Regierungen dafür sorgen, dass Corona-Impfstoffe für alle erhältlich und zugänglich sind und am Einsatzort kostenlos verabreicht werden. Sie sollten sich außerdem dafür einsetzen, dass ein weltweiter sozialer Sicherungsfonds geschaffen wird, der auf Menschenrechtsstandards beruht. Reiche Länder und internationale Finanzinstitutionen sollten zum Beispiel durch Schuldenerleichterungen und Schuldenerlasse dafür sorgen, dass alle Staaten über die nötigen Ressourcen verfügen, um die Pandemie bekämpfen und sich von ihren Folgen erholen zu können.
In Kuwait, Südkorea und im Sudan wurden neue Gesetze zur Verhinderung von Gewalt gegen Frauen und Mädchen verabschiedet. In Argentinien, Nordirland und Südkorea wurden Schwangerschaftsabbrüche entkriminalisiert.
In Kuwait, Südkorea und im Sudan wurden neue Gesetze verabschiedet, um Gewalt gegen Frauen und Mädchen zu bekämpfen. Länder wie Dänemark, Kroatien, die Niederlande oder Spanien unternahmen Schritte, um ihre Vergewaltigungsgesetzgebung zu verbessern und das Zustimmungsprinzip einzuführen. In mehreren afrikanischen Ländern gab es bahnbrechende juristische Entwicklungen mit dem Ziel, die Straflosigkeit für Vergewaltigung und andere Formen sexualisierter Gewalt in Friedens- wie Kriegszeiten zu beenden. Die Afrikanische Union machte sich daran, ein neues Übereinkommen für den Kontinent vorzubereiten, um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. In Europa wurde hingegen die Umsetzung des Übereinkommens zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt (Istanbul-Konvention) in drei Mitgliedstaaten des Europarats blockiert.
Tatsächlich waren häusliche und sexualisierte Gewalt, Frauenmorde aus Gründen der "Ehre" oder Kastenzugehörigkeit sowie andere Formen geschlechtsspezifischer Gewalt weltweit in erschreckendem Ausmaß verbreitet. In den allermeisten Fällen ergriffen die staatlichen Stellen keine angemessenen Maßnahmen, um diese Verbrechen zu verhindern, die Täter*innen strafrechtlich zu verfolgen und den Opfern Zugang zu Rechtsmitteln zu verschaffen. Einige Behörden übten selbst Gewalt aus, indem sie Frauen zum Beispiel wegen angeblicher Verstöße gegen das islamische Recht bestraften oder Männer analen Tests unterzogen, die Folter gleichkamen.
Untermauert wurde die Gewalt von einer tief verwurzelten rechtlichen und alltäglichen Diskriminierung, die auch in anderer Weise zum Ausdruck kam: In 24 der 149 Länder, die Amnesty International untersuchte, wurden Menschen wegen ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer Geschlechtsidentität festgenommen oder inhaftiert. Die Lage verschärfte sich noch durch Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Weltweit verzeichneten Hilfsorganisationen einen deutlichen Anstieg geschlechtsspezifischer und häuslicher Gewalt. Viele Frauen sowie Mitglieder der LGBTI-Community mussten während des Lockdowns mit Menschen unter einem Dach leben, die sie misshandelten. Manche Regierungen ergriffen Notfallmaßnahmen, um den Betroffenen zu helfen. Viele Staaten stuften die Unterstützung für diese Bevölkerungsgruppen jedoch als nicht notwendig ein, was dazu führte, dass Beratungsangebote und Dienstleistungen im Bereich sexuelle und reproduktive Gesundheit während des Lockdowns eingestellt wurden. In einigen Ländern schränkten Gerichte Schwangerschaftsabbrüche während des Lockdowns ein, was einkommensschwache Frauen besonders hart traf.
Im Gegensatz dazu setzten andere Länder fortschrittliche Konzepte um, indem sie zum Beispiel Abtreibungspillen per Telemedizin zugänglich machten, um das Infektionsrisiko gering zu halten. Jenseits der Corona-Pandemie war positiv zu verzeichnen, dass in Argentinien, Nordirland und Südkorea Schwangerschaftsabbrüche straffrei gestellt wurden. In den meisten Ländern des amerikanischen Kontinents waren sie jedoch weiterhin illegal, und in einem EU-Staat schränkte eine richterliche Entscheidung den Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen weiter ein. Auf internationaler Ebene erinnerten die UN-Mitgliedstaaten 2020 an den 25. Jahrestag der Weltfrauenkonferenz in Peking und die damals verabschiedete Aktionsplattform, indem sie eine wohlwollende politische Erklärung abgaben und ihre Absicht bekräftigten, die Menschenrechte von Frauen zu fördern und "alle Formen von Gewalt und schädlichen Praktiken gegen alle Mädchen und Frauen" zu beenden. Die sexuelle und reproduktive Gesundheit sowie die diesbezüglichen Rechte wurden in der Erklärung allerdings nicht explizit erwähnt. Unabhängig davon versuchten einige Regierungen immer wieder, den bestehenden Konsens bezüglich Frauenrechten und Geschlechtergerechtigkeit zu untergraben, indem sie "sexuelle und reproduktive Rechte" aus lange bestehenden internationalen Übereinkommen streichen wollten.
Die Regierungen müssen die Rückschritte bezüglich der Rechte von Frauen und LGBTI dringend mit einer konzertierten Aktion stoppen und konkrete Maßnahmen umsetzen, um Geschlechtergerechtigkeit zu erreichen. Außerdem müssen sie globale Initiativen wie die Pekinger Erklärung und Aktionsplattform sowie die Agenda Frauen, Frieden und Sicherheit in konkrete Schritte überführen, um geschlechtsspezifische Gewalt zu beseitigen, deren Ursachen – zum Beispiel Diskriminierung – zu bekämpfen und die sexuelle und reproduktive Gesundheit sowie die entsprechenden Rechte für alle zu gewährleisten.
Von Belarus bis Polen,vom Irak bis Chile, von Hongkong bis Nigeria strömten Menschen aus Protest gegen Unterdrückung und Ungleichheit auf die Straßen. Mit virtuellen Klimastreiks entwickelte sich eine neue Form des Demonstrierens.
Viele Regierungen unterdrückten abweichende Meinungen und engten zivilgesellschaftliche Handlungsspielräume auch in anderer Weise ein. Sicherheitskräfte gingen in zahlreichen Ländern rechtswidrig mit scharfer Munition oder mit weniger tödlichen Waffen wie Tränengas gegen Proteste vor, die sich gegen verantwortungslose Herrscher*innen, gegen die Aushöhlung sozialer und wirtschaftlicher Rechte oder gegen strukturellen Rassismus richteten (wie zum Beispiel die von der "Black Lives Matter"-Bewegung angeführten Demonstrationen). Hunderte Demonstrierende wurden getötet und viele weitere verletzt. Menschenrechtsverteidiger*innen, Journalist*innen und Oppositionelle wurden Opfer gezielter Einschüchterungen und willkürlicher Inhaftierungen. Einige von ihnen hatten Korruption oder Menschenrechtsverletzungen angeprangert, manche wurden im Zusammenhang mit Wahlen verfolgt, die glaubwürdigen Berichten zufolge von Wahlbetrug und Einschränkungen der Grundfreiheiten gekennzeichnet waren. Menschenrechtsverteidigerinnen waren oft zusätzlichen geschlechtsspezifischen Gefahren ausgesetzt.
Insbesondere in Ländern Asiens, des Nahen Ostens und Nordafrikas verfolgte oder inhaftierte man Menschenrechtsverteidiger*innen und Journalist*innen auf Grundlage vage formulierter Anklagen wie "Verbreitung von Falschinformation", "Veröffentlichung von Staatsgeheimnissen" und "Verleumdung von Behörden" oder man stufte sie als "Terroristen" ein. Einige Regierungen investierten in digitale Überwachungstechnologie, um sie ins Visier zu nehmen. Manche Länder hinderten Menschenrechtsorganisationen wie Amnesty International an ihrer Arbeit. In Lateinamerika und der Karibik war das Ausmaß der Gewalt gegen Menschenrechtsverteidiger*innen nach wie vor am höchsten. Viele wurden von kriminellen Banden getötet, die Verbindungen zum Staat oder zu Geschäftsinteressen aufwiesen.
Auf dem amerikanischen Kontinent, im Nahen Osten und in Nordafrika erließen einige Länder Gesetze, die Äußerungen in Bezug auf die Corona-Pandemie unter Strafe stellten, und gingen anschließend gegen Personen vor, denen sie "Verbreitung von Falschnachrichten" oder "Behinderung von Regierungsentscheidungen" vorwarfen. In Europa gab es Länder, die eine Verbindung zwischen Gesundheitskrise und innerer Sicherheit herstellten und im Eiltempo neue Sicherheitsgesetze verabschiedeten, die Überwachungsmöglichkeiten verstärkten oder dies androhten.
Um Einschränkungen der Versammlungsfreiheit während der Pandemie durchzusetzen, verboten viele Regierungen jedwede Demonstration oder setzten rechtswidrige Gewalt gegen Demonstrierende ein, insbesondere in Afrika und auf dem amerikanischen Kontinent. Vor allem in Asien, im Nahen Osten und in Nordafrika wurden Hunderte Personen willkürlich festgenommen und teilweise angeklagt und strafrechtlich verfolgt, weil sie das Regierungshandeln in Bezug auf die Pandemie kritisiert, auf Menschenrechtsverletzungen in diesem Zusammenhang hingewiesen oder die offizielle Darstellung infrage gestellt hatten. In manchen Ländern nutzte die Regierung die Pandemie auch als Vorwand, um rigoros gegen Kritik vorzugehen, die sich auf ganz andere Sachverhalte bezog.
Regierungen verabschiedeten Gesetze, mit denen pandemiebezogene Berichterstattung kriminalisiert wurde, etwa in Ungarn. In einigen Golfstaaten nahmen die Behörden die Corona-Pandemie zum Vorwand, das Recht auf freie Meinungsäußerung weiterhin einzuschränken. Auf den Philippinen sagte Präsident Rodrigo Duterte, er habe der Polizei die Anordnung gegeben, jeden Menschen zu „erschießen“, der während der Quarantänemaßnahmen demonstriert oder „Unruhe stiftet“. In Nigeria wurden im Zuge brutaler Polizeitaktiken Menschen getötet, nur weil sie auf der Straße für mehr Rechte und Rechenschaftspflicht demonstrierten.
Auf internationaler Ebene erzielte 2020 der UN-Menschenrechtsrat Fortschritte, was die Bewältigung von Menschenrechtskrisen wie zum Beispiel im Jemen, in Libyen oder Venezuela anging, indem er Untersuchungsgremien einsetzte, fortführte oder verstärkte, die zur Strafverfolgung beitragen könnten. Die UN-Mitgliedstaaten fanden allerdings keine glaubwürdige Antwort, was die Unterdrückung Andersdenkender und andere gravierende menschenrechtliche Missstände in Ländern wie Ägypten, China oder Indien betraf.
Manche Regierungen gossen noch Öl ins Feuer, indem sie weiterhin Munition und Ausrüstung zur Kontrolle von Menschenmengen an Staaten verkauften, von denen anzunehmen war, dass sie damit bei Polizeieinsätzen und in bewaffneten Konflikten das Völkerrecht verletzen würden. Einige Staaten verstießen in eklatanter Weise gegen Waffenembargos, die der UN-Sicherheitsrat verhängt hatte.
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) nahm 2020 Ermittlungen zu Afghanistan auf und setzte seine Ermittlungen zu Myanmar/Bangladesch fort. Die Vorermittlungen bezüglich Nigeria und der Ukraine wurden abgeschlossen, und die Chefanklägerin kündigte an, in diesen Fällen Ermittlungen wegen mutmaßlicher Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit anzustrengen. Außerdem ersuchte sie die Vorverfahrenskammer, eine Entscheidung bezüglich der territorialen Zuständigkeit des IStGH für die von Israel besetzten palästinensischen Gebiete zu treffen und behielt sich vor, diesbezüglich Ermittlungen einzuleiten.
Mächtige Staaten versuchten allerdings weiterhin, eine strafrechtliche Verfolgung schwerer und systematischer Menschenrechtsverletzungen zu blockieren und ein gemeinsames Vorgehen dagegen zu untergraben. Die USA verhängten Sanktionen gegen Mitarbeiter*innen des IStGH. Die Blockadehaltung Großbritanniens war ein maßgeblicher Faktor für die bedauerliche Entscheidung der Chefanklägerin, keine Ermittlungen zu mutmaßlichen Kriegsverbrechen britischer Truppen im Irak aufzunehmen.
China und Russland griffen internationale Vereinbarungen zum Schutz der Menschenrechte und unabhängige UN-Menschenrechtsbeobachter*innen an. Die politische Blockade im UN-Sicherheitsrat dauerte an und verhinderte eine rasche und effektive Reaktion des Gremiums auf Menschenrechtskrisen. Mehrere Regierungen behinderten durch Repressalien und Einschüchterungen die Zusammenarbeit von Personen aus der Zivilgesellschaft mit den Vereinten Nationen. Zudem gerieten die Gremien und Institutionen der UN in eine Finanzierungs- und Liquiditätskrise, weil Mitgliedstaaten ihre Beiträge verspätet oder überhaupt nicht bezahlten. Diese Probleme verschärften sich noch durch die Corona-Pandemie. Damit die Institutionen, deren Aufgabe es ist, über das Völkerrecht zu wachen, auch künftig dafür sorgen können, dass die Unterdrückung Andersdenkender und andere systematische und schwere Menschenrechtsverletzungen verhindert, bekämpft und geahndet werden, sollten alle Staaten die Gremien und Institutionen der Vereinten Nationen stärken und in vollem Umfang finanzieren. Außerdem sollten sie in laufenden Verfahren uneingeschränkt mit dem IStGH zusammenarbeiten und politische Einmischung ausschließen.