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Der Amnesty International Jahresbericht 2022/23 zur weltweiten Lage der Menschenrechte betrachtet 156 Länder, darunter auch Österreich, und beinhaltet eine umfassende Analyse der globalen Menschenrechtstrends im Jahr 2022. Im Folgenden findest du das Kapitel Österreich. Hier geht es zu einem Überblick über alle Inhalten des aktuellen Jahresberichts.
Die Sozialhilfeleistungen waren in einigen Bundesländern nach wie vor unzureichend. Das Recht auf angemessenes Wohnen wurde nicht hinreichend anerkannt und umgesetzt. Frauen und Mädchen waren nicht ausreichend vor geschlechtsspezifischer Gewalt geschützt. Die Pressefreiheit geriet zunehmend unter Druck, indem z. B. Journalist*innen an der Beobachtung von Protestveranstaltungen gehindert wurden. Die Regelungen für unbegleitete Minderjährige, die um internationalen Schutz ansuchten, waren unzureichend. Die Polizei führte nach wie vor diskriminierende Personenkontrollen durch und wurde für unverhältnismäßige Gewaltanwendung nicht angemessen zur Verantwortung gezogen. Seine Klimaziele erreichte das Land nicht.
Österreich steht an einem Wendepunkt im Kampf um die Menschenrechte. Welche Richtung wir jetzt einschlagen, wird die nächsten Jahrzehnte bestimmen. Wenn wir weiterhin Menschen ausgrenzen und ihnen ihre Menschenrechte verweigern, verletzt dies nicht nur ihre Rechte, sondern untergräbt auch den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.
Annemarie Schlack, von Geschäftsführerin Amnesty International Österreich
Mit den im Juni 2022 verabschiedeten Änderungen des Sozialhilfe-Grundsatzgesetzes wurde eine Härtefallklausel für in Österreich lebende ausländische Staatsangehörige eingeführt. Zudem wurde ermöglicht, dass Menschen, die in Frauenhäusern oder Einrichtungen der Wohnungslosenhilfe lebten, den vollen Bezug der Sozialhilfe erhielten. Ende des Jahres hatten vier Bundesländer die Änderungen teilweise umgesetzt, doch das Gesetz selbst verwehrte weiterhin zahlreichen Menschen Zugang zu einer angemessenen Sozialhilfe.
Im Jahr 2022 wurden einige Maßnahmen eingeführt, um Delogierungen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie zu verhindern und Menschen zu unterstützen, die von Obdachlosigkeit bedroht waren. Allerdings blieben die Behörden säumig, eine nationale Wohnstrategie zu entwickeln und umzusetzen oder flächendeckende Angebote in der Wohnungslosenhilfe sicherzustellen. Mangelnde Informationen, hohe bürokratische Hürden, Sprachbarrieren und gesetzliche Regelungen, die zum Ausschluss der Anspruchsberechtigung sowohl von österreichischen als auch ausländischen Staatsangehörigen führten, bewirkten darüber hinaus, dass viele Menschen keinen Zugang zu den entsprechenden Unterstützungsleistungen erhielten.
Die Faktoren Gender und Mehrfachdiskriminierung wurden bei der Bereitstellung sozialer Dienstleistungen nicht ausreichend berücksichtigt. So waren die meisten Angebote der Wohnungslosenhilfe nicht geschlechtsspezifisch, sondern basierten auf den Bedürfnissen und Erfahrungen von Männern. Die vorgeschlagenen Reformen des Pflegesystems sorgten weder für die faire Entlohnung noch ausreichende soziale Sicherheit von Migrantinnen, die die überwiegende Mehrheit der Beschäftigten in der häuslichen Pflege älterer Menschen ausmachten.
Im Laufe des Jahres 2022 wurden 28 Frauen aufgrund geschlechtsspezifischer Gewalt getötet. Gleichzeitig blieb die Kritik an zu wenig Plätzen in Frauenhäusern bestehen.
Im September kritisierten Frauenrechtsorganisationen die anhaltenden Hindernisse beim Zugang zu erschwinglichen und sicheren Schwangerschaftsabbrüchen.
Die Pressefreiheit stand 2022 weiterhin unter Druck.
Bei mehreren Protesten in der Hauptstadt Wien hinderte die Polizei Journalist*innen an der Beobachtung und Berichterstattung bzw. schützte sie nicht angemessen vor Angriffen durch Demonstrierende. Bei der Räumung eines Protestcamps im April 2022 richtete die Polizei eine separate Pressezone für Journalist*innen ein, die so weit vom Camp entfernt war, dass eine angemessene Beobachtung der Ereignisse nicht möglich war.
Die Zahl an Einschüchterungsklagen (SLAPP-Klagen) stieg weiterhin, sowohl gegen Medienschaffende als auch gegen Journalist*innen.
Im März 2022 wurde Julian H., der eine Schlüsselrolle bei der Erstellung des „Ibiza-Videos“, in dem es um Korruption auf höchster politischer Ebene ging, gespielt hatte, , zu 41 Monaten Haft verurteilt. Es wurden Bedenken hinsichtlich der Einhaltung seines Rechts auf ein faires Verfahren geäußert.
Die Einführung des im Februar 2021 vorgeschlagenen Informationsfreiheitsgesetzes, das die Transparenz und das Vertrauen in die Politik und die Institutionen erhöhen sollte, blieb weiter aus.
Die EU-Kommission leitete ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich ein, weil die EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblower*innen noch immer nicht in nationales Recht umgesetzt worden war.
Im Februar 2022 befand das Landesverwaltungsgericht Steiermark, dass ein Asylsuchender aus Marokko von der Polizei widerrechtlich nach Slowenien zurückgeschoben worden war, und merkte an, dass solche rechtswidrigen Pushbacks "teilweise methodisch Anwendung” finden.
Bis Ende des Jahres erhielten ungefähr 90.000 ukrainische Geflüchtete in Österreich temporären Schutz gemäß den Bestimmungen der EU-Massenzustrom-Richtlinie.
Im September 2022 gab das Innenministerium bekannt, dass im Zeitraum Jänner bis Juli 5.140 unbegleitete minderjährige Geflüchtete verschwanden. Zahlreiche NGOs und Politiker*innen forderten die sofortige Zuweisung von Obsorgeberechtigten für alle unbegleiteten Minderjährigen unmittelbar nach ihrer Ankunft und nicht erst nach der Zulassung zum Asylverfahren, da dieser Prozess oft mehrere Monate lang dauern kann.
Die Strafverfolgungsbehörden setzten weiterhin ohne eindeutige Rechtsgrundlage Technologien zur Gesichtserkennung ein, ungeachtet der potenziell diskriminierenden Auswirkungen auf geschlechtsspezifische und ethnische Minderheiten und der Beeinträchtigung der Rechte auf Privatsphäre, freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung.
Die Polizei führte nach wie vor diskriminierende Personenkontrollen (Racial Profiling) durch und es gibt weiterhin keinen Mechanismus diese wirksam zu untersuchen.
Misshandlungsvorwürfe gegen Polizeibeamt*innen, wie etwa bei der Demonstration zum 1. Mai 2021 in Wien, wurden auch 2022 nicht wirksam untersucht. Eine von der Regierung für 2020 angekündigte unabhängige Ermittlungs- und Beschwerdestelle war bis Ende 2022 noch nicht eingerichtet worden. Straflosigkeit und mangelnde Rechenschaftspflicht wurden zudem dadurch
verschärft, dass Polizeibeamt*innen nach wie vor keine individuelle Kennung trugen.
Österreich erreichte 2022 seine Klimaziele, insbesondere was die nachhaltige Reduzierung der Kohlenstoffemissionen anging, nicht. Ein aktives Klimaschutzgesetz gab es nicht.
Titelbild: Geflüchtete beim österreichisch-slowenischen Grenzübergang in Spielfeld, November 2022.