Polizeigewalt in Österreich
Veröffentlicht am 25.4.2022, zuletzt aktualisiert am 26.3.2024
Unter Polizeigewalt versteht man Menschenrechtsverletzungen durch die Polizei. Dazu zählt einerseits unrechtmäßige phyische Gewalt, Tötungen, Folter oder der wahllose Einsatz von Tränengas oder Pfefferspray bei Demonstrationen. Andererseits kann Polizeigewalt auch das Recht, nicht diskriminiert zu werden, das Recht auf Freiheit und Sicherheit sowie das Recht auf gleichen Schutz durch das Gesetz verletzen.
Amnesty International forderte jahrelang eine unabhängige Beschwerde- und Ermittungsstelle zur Untersuchung von Polizeigewalt in Österreich, damit die Polizei bei Missbrauchsvorwürfen nicht gegen sich selbst ermittelt. Denn das führt zu Interessenskonflikten und schwächt das Vertrauen der Bevölkerung in die Polizei. Nach langen Jahren des Wartens nahm die die neu eingerichtete Ermittlungsstelle schließlich am 22.1.2024 ihre Arbeit auf.
Polizist*innen haben eine große Verantwortung und ihre Arbeit ist oft herausfordernd. Umso wichtiger ist, dass Misshandlungsvorwürfe gegen die Polizei rasch und unabhängig aufgeklärt und Verantwortliche zur Rechenschaft gezogen werden. Dazu braucht es auch dringend eine Kennzeichnungspflicht für Polizist*innen, die Amnesty International mit einer Petition fordert.
Auf dieser Seite erhältst du einen Überblick zum Thema Polizeigewalt in Österreich und erfährst, was du tun kannst, wenn du selbst von Polizeigewalt betroffen bist oder Zeug*in davon wirst.
Untersuchung von Polizeigewalt in Österreich
Die wirksame Untersuchung von Misshandlungsvorwürfen gegen die Polizei und der Schutz der Versammlungsfreiheit in Österreich sind für Amnesty International zentrale Anliegen. Anlässlich der Veröffentlichung eines Gutachtens über die Vorgänge bei der Mayday-Demo am 1. Mai 2021, bei der es zu massiven Vorwürfen von Polizeigewalt gegen Demonstrierende gekommen ist, erneuerte Amnesty International Österreich die langjährige Forderung und erinnerte die aktuelle Bundesregierung an ihr eigenes Vorhaben, eine solche einrichten zu wollen. Bereits die türkis-grüne Regierung kündigte im Regierungsprogramm an, eine Ermittlungs- und Beschwerdestelle zu schaffen, die Misshandlungsvorwürfe gegen die Polizei unabhängig untersuchen soll. Laut Aussage des damaligen Innenministers und jetzigen Bundeskanzlers Karl Nehammer hätte bis Herbst 2020 ein Konzept vorliegen sollen. Die Einbindung externer Expertise aus der Zivilgesellschaft in die Konzeption der Stelle sei angedacht.
Polizei ermittelte gegen sich selbst
Das Gutachten, das Menschenrechtsexperte Philipp Sonderegger im Auftrag von Amnesty International über die Vorgänge bei der Mayday-Demo 2021 verfasst hat, zeigt massives Fehlverhalten der Polizei während des Einsatzes, aber auch eine fehlende Aufarbeitung der Geschehnisse und Vorwürfe durch die Behörden – ein Problem, das in Österreich regelmäßig vorkommt und System hat. Misshandlungsvorwürfe wurden nicht wirksam untersucht und die Behörden sind klaren Hinweisen auf Misshandlungen nicht nachgegangen. Wie konnte das passieren? Die Ursache dafür liegt auf der Hand: Für unabhängige Ermittlungen fehlte schlichtweg immer der noch der Rahmen. Die Polizei ermittelte gegen sich selbst. Das führt zu Interessenskonflikten und fehlender Unparteilichkeit der involvierten Beamt*innen. Auch ein starker Korpsgeist innerhalb der Polizei kann dazu verleiten, dass sich die Polizist*innen gegenseitig decken. So bleibt Polizeigewalt für die Täter*innen meist folgenlos. Wenn es überhaupt zu strafrechtlichen Ermittlungen kommt, verlaufen diese meist im Sand. Misshandlungsvorwürfe gegen Polizeibeamt*innen führen laut einer Studie von ALES (Austrian Center for Law Enforcement Sciences) in Österreich fast nie zu einer Anklage.
Das Gutachten über die Mayday-Demo bestätigte leider, was wir seit vielen Jahren beobachten: Polizeigewalt in Österreich ist ein massives Problem. Aber fast noch mehr die Straflosigkeit, die diesem Fehlverhalten regelmäßig folgt.
Teresa Exenberger, Juristin und Advocacy and Research Officer bei Amnesty International Österreich
Mangelnde Transparenz
Das Gutachten zeigt auch „ein Bild mangelnder Transparenz und einer schwachen Fehlerkultur bei der Aufarbeitung der Ereignisse durch Polizei und Justiz“, wie Philipp Sonderegger erklärt. Für den Bericht wurden zwölf Personen detailliert befragt, zudem wurden behördliche Schriftstücke und Videos analysiert und Anfragen an die Polizei ausgewertet. „Letzteres war am schwierigsten, da ich keine oder sehr oberflächliche Antworten erhalten habe und das um Monate verspätet“, kritisiert Sonderegger die mangelnde Transparenz und „den Unwillen, den Einsatz ernsthaft auf Fehler und Verbesserungsmöglichkeiten hin zu untersuchen“. Der Bericht analysiert in zwei Teilen sowohl die Verletzung des Misshandlungsverbot und deren fehlende Aufarbeitung durch die Behörden als auch die Einschränkung der Versammlungsfreiheit und das Versagen der Polizei, diese ausreichend zu schützen und zu gewährleisten. Im Gegenteil kam es zu unverhältnismäßiger Ausübung von Gewalt durch die Behörden gegenüber den Demonstrierenden.
Völkerrechtliche Verpflichtung Österreichs
Mehrfach wurde Österreich von diversen internationalen Institutionen – etwa den Vereinten Nationen oder dem Europarat – gemahnt. Denn das Fehlen einer unabhängigen Ermittlungsstelle ist eine Verletzung des Verbots von Folter und unmenschlicher Behandlung, da die Opfer von Polizeigewalt sich nicht wirksam beschweren können und die Täter*innen oftmals nicht zur Rechenschaft gezogen werden.
Wie würde eine unabhängige Ermittlungsstelle auch der Polizei selbst dienen?
Die wirksame Aufarbeitung von Menschenrechtsverletzungen ist wichtig für ein gutes Verhältnis zwischen der Polizei und den Menschen im Land. Die Einrichtung einer unabhängigen Beschwerde- und Ermittlungsstelle zur Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen gegen Polizeibeamt*innen könnte dazu beitragen, das Vertrauen zwischen der Bevölkerung und der Polizei zu stärken. Sie könnte das gute Miteinander fördern – im Sinne einer modernen, menschenrechtsfreundlichen Polizei, der jeder Mensch in Österreich vertrauen kann.
Statistik zu Polizeigewalt in Österreich
Lässt sich das Problem in Österreich in Zahlen und Statistiken über Polizeigewalt überprüfen? Leider nein. Denn viele der Betroffenen wenden sich aus Angst vor Repressalien oder aufgrund ihres fehlenden Vertrauens in die Aufklärung gar nicht erst an die Polizei. Daher ist das ganze Ausmaß von Polizeigewalt nicht bekannt. Und es gibt daher auch keine aussagekräftigen Statistiken über Polizeigewalt in Österreich. Aber auch ohne statistische Zahlen können wir bei Amnesty International klar feststellen, dass in Österreich Polizeigewalt nicht nur regelmäßig, sondern geradezu systematisch nicht wirksam untersucht wird. Eine unabhängige Stelle zur Untersuchung von Polizeigewalt würde auch dazu beitragen, diese Lücke in der Erfassung von Polizeigewalt zu schließen.
Was kannst du bei Polizeigewalt in Österreich tun?
Unzureichender Rechtsschutz
Leider ist Rechtsschutz für Betroffene von Polizeigewalt in Österreich grundsätzlich unzureichend. Wer eine Anzeige macht, muss im schlimmsten Fall mit einer Gegenanzeige mit dem Vorwurf der Verleumdung durch die Polizei rechnen. Laut der genannten ALES Studie hat die Behörde bei 10 Prozent der Betroffen mit einer Gegenanzeige reagiert. Wenn Betroffenen zudem sogenannte Maßnahmenbeschwerden vor den Verwaltungsgerichten erheben, gehen sie ein sehr hohen Prozesskostenrisiko ein. Wenn die Vorwürfe nicht beispielsweise durch Videos belegbar sind, haben die Beschwerden kaum Aussicht auf Erfolg.
Beratung einholen
Grundsätzlich hat jeder Mensch das Recht, eine wirksame Beschwerde einzubringen, wenn die eigenen Rechte verletzt wurden. Da die Risiken aber hoch sind, sollte man sich jedenfalls rechtlich beraten lassen, bevor man eine Anzeige erstattet oder ein Rechtsmittel erhebt. Nach einem Vorfall hast du sechs Wochen Zeit, beim zuständigen Verwaltungsgericht das Rechtsmittel einer sogenannten Maßnahmenbeschwerde zu erheben. Eine Maßnahmenbeschwerde richtet sich gegen rechtswidriges Handeln der Polizei, z.B. ungerechtfertigte Gewaltanwendung. Maßnahmenbeschwerden können für Betroffene ein hohes Prozesskostenrisiko bedeuten. Bevor du eine Maßnahmenbeschwerde einbringst, ist es wichtig zu klären, wie die Beweislage aussieht (z.B. gibt es Videobeweise etc.) und ob die Beschwerde aussichtsreich ist.
Dokumentieren
Wenn du selbst betroffen bist oder Zeug*in von Polizeigewalt wirst, zum Beispiel bei einer Demo, ist es wichtig, die Situation schriftlich oder durch Filmen zu dokumentieren. Du hast das Recht, Proteste zu beobachten und auch zu filmen oder zu fotografieren und brauchst dafür keine Genehmigung. Achte beim Filmen oder Fotografieren aber generell darauf, dabei die Amtshandlung der Polizei nicht zu stören. Falls du vorhast, Bildmaterial oder Videos zu veröffentlichen, solltest du grundsätzlich das Einverständnis – bestenfalls schriftlich – der Beteiligten einholen oder sie anonymisieren (z.B. durch Verpixeln).
Das Schreiben eines Gedächtnisprotokolls als Zusammenfassung der Ereignisse kann dir als Gedächtnisstütze helfen. Wenn du ein Gedächtnisprotokoll schreibst, tu das am besten möglichst zeitnah nach dem Vorfall, ohne dich vorher detailliert mit anderen auszutauschen. Wenn es zu (Straf-) Verfahren kommt, dauern diese oft sehr lange und es wird schwer sein, dich an alles genau zu erinnern. Im Falle einer Festnahme, beschreibe diese und die Haft, sowie was unmittelbar davor passiert ist, also den Anlass für deine Festnahme, ebenfalls im Gedächtnisprotokoll. Ein solches Gedächtnisprotokoll ist zunächst nur für dich selbst gedacht und sollte daher möglichst sicher (z.B. auf einer verschlüsselten Festplatte) aufbewahrt werden. Gib dein Gedächtnisprotokoll auch nicht einfach so weiter.
Umfassende Informationen zum Umgang mit der Polizei bei Demons findest du im Amnesty Demo-Guide zur Versammlungsfreiheit.
Was fordert Amnesty International in Bezug auf Polizeigewalt in Österreich?
Unabängige und wirksame Untersuchung von Polizeigewalt
Die ermittelnde Stelle darf in keiner hierarchischen oder institutionellen Verbindung zur Polizei stehen. D.h. eine solche Stelle muss unbedingt außerhalb der Weisungsbefugnis des Bundesministers für Inneres stehen.
Einbindung der Zivilgesellschaft
Die Stelle muss menschenrechtskonform und unter Einbindung zivilgesellschaftlicher Expertise konzipiert und umgesetzt werden. Auch die Konsultation internationaler Organisationen ist notwendig.
Multiprofessionelle Zusammensetzung der Untersuchungsstelle
Es ist außerdem notwendig, dass die Untersuchungsstelle multiprofessionell zusammengesetzt ist, also neben Personen mit Polizeihintergrund beispielsweise auch mit Mediziner*innen, Psycholog*innen und Menschenrechtsexpert*innen besetzt ist, um umfassende und gründliche Untersuchungen sicher zu stellen. Zudem dient es der Garantie der Unabhängigkeit, wenn neben Personen mit Polizeihintergrund, bei denen Interessenskonflikte vorliegen oder vermutet werden könnten, auch zivile Expert*innen eingebunden werden.
Kennzeichnungspflicht
Damit Fehlverhalten aufgeklärt werden kann, müssen Polizist*innen im Dienst klar identifizierbar sein. Nur dann können Ermittlungen wirksam sein und vor Straflosigkeit schützen. Denn zurzeit verlaufen viele Verfahren wegen Misshandlungsvorwürfen im Sand, weil nicht klar nachvollzogen werden kann, welche*r Polizist*in für eine unrechtmäßige Amtshandlung verantwortlich war. Dann kann auch niemand zur Rechenschaft gezogen werden – ein Schlag ins Gesicht für Betroffene von Polizeigewalt. Die Kennzeichnungspflicht ist als internationaler Menschenrechtsstandard bereits erprobt und anerkannt. Viele europäische Länder machen es vor – Österreich muss jetzt nachziehen. Möchtest du dich dieser Forderung anschließen? Du kannst hier die Petition für die Einführung einer Kennzeichnungspflicht unterschreiben.
Update: Wie beurteilt Amnesty Interntional die neue Ermittlungsstelle, die im Jänner 2024 startete?
Nach langen Jahren des Wartens hat am 22. Jänner 2024 die neue Ermittlungsstelle ihre Arbeit aufgenommen, an die sich Betroffene von Polizeigewalt künftig wenden können und die dafür sorgen soll, dass unrechtmäßige Polizeigewalt in Österreich für Täter*innen nicht mehr folgenlos bleibt. Die Ermittlungsstelle ist beim Bundesamt zur Korruptionsprävention und Korruptionsbekämpfung und damit unter Weisungsbefugnis des Innenministers angesiedelt. Trotz unserer diesbezüglichen Bedenken zur Unabhängigkeit der neuen Stelle, begrüßen wir ihre Einrichtung. Auch der Beirat zur Ermittlungs- und Beschwerdestelle Misshandlungsvorwürfe wurde offiziell bestellt. Wir freuen uns darauf, mit einem Mitglied und Ersatzmitglied unsere menschenrechtliche Expertise in den Beirat einbringen zu können. Wir werden die weiteren Entwicklungen in Österreich weiterhin genau beobachten und uns für unabhängige und wirksame Aufklärung von Misshandlungsvorwürfen einsetzen.