Deine Spende wird heute verdoppelt
Jede Spende bis zum 31. Dezember wird verdoppelt. So entfaltet dein Beitrag doppelte Wirkung und schützt weltweit die Rechte von Menschen in Gefahr.
Veröffentlicht am 29.4.2021
Das Wort “systemerhaltend” ging 2020 um die Welt und rückte auch die damit verbundenen sozialen Ungleichheiten weltweit in den Fokus. Die Menschen, deren Arbeit für uns alle jeden Tag unverzichtbar ist, sind zugleich häufig jene, die nicht fair entlohnt werden, deren Arbeitsbedingungen unsicher und ungerecht sind und die auch oft unzureichend vor einer Ansteckung mit COVID-19 geschützt wurden. Die COVID-19-Pandemie verschärfte an vielen Orten der Welt die Arbeitsbedingungen – in Krankenhäusern, auf Gemüsefeldern, bei Lieferdiensten und in Fabriken. Die Rechte der Systemerhalter*innen – auf angemessene Arbeitsbedingungen, auf Freizeit und Erholung, auf Sicherheit am Arbeitsplatz – blieben allzu häufig auf der Strecke. Wie eng diese Rechte mit vielen weiteren unserer Menschenrechte verbunden sind, haben die weitreichenden sozialen Folgen der Pandemie deutlich gemacht. Aber was genau bedeutet "Recht auf Arbeit" und wie hängt es mit anderen Menschenrechten zusammen? Auf dieser Seite findest du Antworten auf diese Fragen, aktuelle Beispiele, wie wir bei Amnesty für Arbeitsrechte kämpfen, und nicht zuletzt gute Gründe, warum wir alle uns dafür einsetzen müssen, dass Arbeiter*innen und ihre Rechte geschützt werden!
> Definition und Begriffsbestimmung: Welche Rechte umfasst das Recht auf Arbeit?
>Menschenrechtsdokumente: Wie ist das Recht auf Arbeit menschenrechtlich verankert?
> Bedeutet das Recht auf Arbeit, dass man einen Arbeitsplatz einklagen kann?
> 3 Beispiele, warum wir uns jetzt weltweit für die Rechte von Arbeiter*innen einsetzen müssen
Das Recht auf Arbeit bedeutet die Möglichkeit eines jeden Menschen, seinen*ihren Lebensunterhalt durch frei gewählte oder angenommene Arbeit zu verdienen. Es umfasst sowohl unselbständige als auch selbständige Arbeit. Auch wenn das Recht auf Arbeit nicht bedeutet, dass ein Staat einem jeden Menschen einen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen muss, umfasst es dennoch viele Verpflichtungen eines Staates: etwa den Zugang zu einer Beschäftigung ohne jegliche Diskriminierung sowie nicht zur Arbeit gezwungen zu werden. Es verlangt außerdem einen Schutz vor ungerechtfertigten und willkürlichen Entlassungen für alle Menschen und eine unterstützende Struktur, die den Zugang zur Beschäftigung erleichtert – einschließlich einer angemessenen Berufsausbildung. Es verlangt von Regierungen, auch die Rechte von Menschen zu schützen, die in den informellen Sektoren der Wirtschaft arbeiten.
Das Recht auf Arbeit ist eng mit dem Recht auf gerechte und begünstigende Arbeitsbedingungen verbunden, einschließlich fairer Löhne und des Prinzips des gleichen Lohns für gleichwertige Arbeit. Es enthält außerdem das Recht auf sichere und gesunde Arbeitsbedingungen, eine angemessene Begrenzung der Arbeitszeit, Schutz für Arbeitnehmer*innen während und nach der Schwangerschaft sowie Gleichbehandlung bei der Beschäftigung.
Das Recht auf Arbeit ist nicht nur wichtig, damit unser Lebensunterhalt gesichert ist, sondern auch ein wichtiger Bestandteil eines menschenwürdigen Lebens. Denn das Recht auf Arbeit ist auch von entscheidender Bedeutung für die Ausübung weiterer Menschenrechte. Ohne soziale Absicherung sowie angemessene und sichere Arbeitsbindungen steigt die Armutsgefährdung. Das zieht negative Konsequenzen für Gesundheit, menschenwürdiges Dasein und letztlich auch für das Recht auf Leben nach sich. Gleichzeitig wirken sich Arbeit und Arbeitsbedingungen auf die gesellschaftliche Teilhabe der Menschen aus sowie auf die Ausübung ihrer zivilen und bürgerlichen Rechte wie Meinungsäußerungsfreiheit und Versammlungsfreiheit.
Das Recht auf Arbeit zählt zu den wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten. Es ist als Artikel 23 und 24 Teil der Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sowie als Artikel 6 des Internationalen Pakts über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (IPwskR, auch genannt UN-Sozialpakt) verankert. Der UN-Sozialpakt wurde 1966 von der UN-Generalversammlung verabschiedet. Bis heute wurde der IPwskR von 171 Staaten ratifiziert, darunter auch Österreich. Jedoch sind die im IPwskR verankerten Rechte in Österreich im Einzelfall nicht direkt anwendbar und eine verfassungsrechtliche Verankerung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten fehlt nach wie vor.
Im Sozialpakt als wirtschaftliche Rechte verankert sind neben dem Recht auf Arbeit, auch die Rechte am Arbeitsplatz (Artikel 7), das Recht, eine Gewerkschaft zu gründen und ihr beizutreten, sowie das Streikrecht (Artikel 8). Relevante Dokumente für das Recht auf Arbeit sind außerdem Verträge und Konventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (International Labour Organziation) und regionale Konventionen, wie die Europäische Sozialcharta.
Das Recht auf Arbeit ist eines der so genannten wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte. Das sind jene Menschenrechte, die sich auf Arbeit, soziale Sicherheit, das Familienleben, die Teilhabe am kulturellen Leben oder auch den Zugang zu Wohnraum, Nahrung, Wasser, Gesundheitsversorgung und Bild beziehen. Eine mangelnde Gewährleistung und Sicherstellung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten kann weitreichende Auswirkungen für die Menschen und die Ausübung ihrer weiteren Menschenrechte haben. Denn die einzelnen Menschenrechte sind eng miteinander verbunden, bedingen einander wechselseitig und müssen daher gemeinsam umgesetzt werden.
Das Recht auf Arbeit bedeutet nicht, dass du vor Gericht gehen und vom Staat einen Arbeitsplatz einklagen kannst. Staaten sind jedoch verpflichtet, dass der Arbeitsmarkt so konzipiert ist, dass alle Menschen gerechte und sichere Arbeitsbedingungen und ein adäquates Einkommen erhalten. Der Staat kann beispielsweise einen Mindestlohn vorschreiben. Rechte am Arbeitsplatz, der Schutz vor ungerechtfertigten Entlassungen und das Streikrecht sind in Österreich in nationalen Gesetzen geregelt beziehungsweise durch das Europarecht verankert. Dadurch besteht die Möglichkeit, eine Verletzung oder Versagung dieser staatlichen Verpflichtungen von unabhängigen Stellen überprüfen zu lassen.
In Österreich und weltweit sind wachsende Ungleichheit, insbesondere die Verteilung von wirtschaftlichen Möglichkeiten, aber auch der Anstieg an Armutsgefährdung, eine dramatische Konsequenz der COVID-19 Maßnahmen. Besonders unter Druck stehen etwa die Rechte von Menschen in systemerhaltenden Berufen, darunter Beschäftigte im Gesundheitswesen. Der Amnesty Jahresbericht 2020 zeigte deutlich, dass Regierungen die Beschäftigten im Gesundheitswesen und andere exponierte Arbeitnehmer*innen nicht ausreichend vor einer Infektion mit dem Coronavirus geschützt haben.Tausende starben, und viele weitere erkrankten schwer, weil es nicht genug persönliche Schutzausrüstung gab.
Menschen, die in der Pandemie mangelnde Sicherheit am Arbeitsplatz und prekäre Arbeitsbedingungen kritisierten, waren mit Einschüchterungen durch Arbeitgeber*innen oder Behörden konfrontiert. Manche wurden festgenommen, entlassen oder sahen sich mit anderen Vergeltungsmaßnahmen konfrontiert. Im Jahresbericht 2020 zeigte Amnesty International auf, dass in 42 von 149 untersuchten Ländern staatliche Stellen das Gesundheitspersonal und andere exponierte Arbeitnehmer*innen in Zusammenhang mit der Pandemie drangsalierten oder einschüchterten. Häufig traf es weibliche Pflegekräfte, die weltweit 70 Prozent aller Beschäftigten im Gesundheits- und Sozialsektor stellten und bereits zuvor aus geschlechtsspezifischen Gründen sehr schlecht bezahlt waren.
Lockdowns und Ausgangssperren sorgten dafür, dass Arbeiter*innen im informellen Sektor ihre Einkünfte verloren, ohne auf angemessene soziale Sicherungssysteme zurückgreifen zu können. Besonders betroffen von den Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie waren häufig Menschen in a-typischen oder prekären Arbeitsverhältnissen, da ihre Einkommensverluste nicht von Kompensationen abgedeckt wurden. Dazu zählen Zeitarbeitskräfte (sogenannte „Leiharbeiter*innen“), Menschen, die zur Gruppe der working-poor gehören, sowie Menschen in Dienstleistungsberufen und der Gastronomie, bei deren Einkommen variable Lohnbestandteile wie zum Beispiel Trinkgelder wegfielen.
Die Schließung von Schulen und anderen Betreuungsprogrammen bedeutete besonders für Frauen eine zusätzliche Belastung, die sich häufig gezwungen sahen, neben ihrer Erwerbsarbeit auch zusätzliche unbezahlte Arbeit in der Betreuung und Pflege von Kindern und Angehörigen zu leisten. In einigen Ländern verschärfte die Pandemie auch die bestehende Diskriminierung von Frauen am Arbeitsmarkt und verstärkte die Arbeitsplatzunsicherheit für Frauen. Eine Amnesty-Recherche von Juni 2020 zeigte auf, dass Frauen in Ungarn, insbesondere wenn sie schwanger sind oder kleine Kinder haben, am Arbeitsplatz auf haarsträubende Weise direkt oder indirekt diskriminiert werden. Der Bericht zeigt, dass die Diskriminierung seit der COVID-19-Krise noch weiter zugenommen hat.
Arbeiter*innen haben sich ihre Rechte hart erkämpft. Es sind mehr als 130 Jahre vergangen, seitdem der internationale Tag der Arbeit am 1. Mai zum ersten Mal gefeiert wurde. Doch bis alle Menschen diese Rechte genießen, ist es noch ein langer Weg. Weltweit wird Millionen Menschen eine gerechte Entlohnung ihrer Arbeit vorenthalten, sie arbeiten unter gefährlichen und unwürdigen Bedingungen, erfahren Diskriminierung am Arbeitsplatz oder werden nicht ausreichend arbeitsrechtlich geschützt. Regierungen und Unternehmen sind dafür verantwortlich, die Rechte von Arbeiter*innen zu respektieren und zu gewährleisten. Amnesty setzt sich dafür ein, dass sie ihrer Verantwortung nachkommen. Gemeinsam mit unseren Unterstützer*innen kämpfen wir dafür, prekären Arbeitsverhältnissen weltweit ein Ende zu setzen und die Rechte von Arbeiter*innen zu schützen – für eine Welt mit gerechten Arbeitsbedingungen für alle Menschen.
Es macht keinen Unterschied, ob es um Arbeitsmigrant*innen in Katar geht, um Arbeiter*innen in der stetig wachsenden sogenannten „Gig Economy“ digitaler Plattformen oder 24-Stunden-Betreuer*innen, die ins Ausland pendeln, um sich dort um betreuungsbedürftige Personen zu kümmern: Sie alle haben das Recht auf faire und gerechte Arbeitsbedingungen, einen sicheren Arbeitsplatz und eine adäquate arbeitsrechtliche Vertretung. Drei aktuelle Beispiele, die deutlich machen, wie wichtig das Recht auf Arbeit für viele unserer Menschenrechte ist und wie dringend wir uns für einen besseren Schutz des Rechts auf Arbeit für alle Menschen einsetzen müssen.
Arbeitsmigrant*innen sind weltweit besonders gefährdet, ausgebeutet zu werden. Besonders deutlich wird das am Beispiel Katar. Etwa 95% der Arbeitnehmer*innen im Land sind Migrant*innen aus Asien und Afrika. Ihre Rechte werden mit Füßen getreten: Trotz vielfach von Katar angekündigter Reformen werden sie weiterhin misshandelt, erniedrigt und ausgebeutet.
173.000 Migrant*innen arbeiten in Katar als Hausangestellte. Das in Katar herrschende System erlaubt es Arbeitgeber*innen, Hausangestellte nicht als Menschen, sondern als Besitz zu behandeln. Das zeigten Recherchen von Amnesty International auf. Sie werden gezwungen, bis zur völligen Erschöpfung zu arbeiten. Praktiken wie Einbehaltung der Pässe und Nichtauszahlung der Löhne weisen auf Zwangsarbeit hin. Hausangestellte erzählten uns, dass sie durchschnittlich 16 Stunden pro Tag arbeiteten, an jedem Tag der Woche – weit mehr, als das Gesetz erlaubt. Andere berichteten, dass sie ihre Gehälter nicht erhielten und bösartigen Beleidigungen und Übergriffen ausgesetzt waren. Hausangestellte berichteten Amnesty, Opfer schwerer Straftaten, darunter sexueller Gewalt, geworden zu sein. Durch die völlige Abhängigkeit der Hausangestellten von ihren Arbeitgeber*innen ist Straflosigkeit der Täter*innen weit verbreitet.
2017 führte Katar ein Gesetz ein, das die Arbeitsbedingungen von Hausangestellten verbessern soll. Ein Mindestlohn wurde eingeführt und die Regelung abgeschafft, dass Arbeiter*innen die Erlaubnis ihrer Arbeitgebenden benötigen, um die Stelle zu wechseln oder das Land zu verlassen. Doch die Reformen werden nicht richtig umgesetzt, viele Unternehmen bezahlen ihre Arbeitnehmer*innen nach wie vor nicht angemessen. Arbeitgeber*innen üben immer noch eine unzulässige Kontrolle über das Leben der Arbeitnehmer*innen aus, halten die Maximalarbeitszeiten nicht ein und hindern sie an einem Jobwechsel.
Arbeitsmigrant*innen arbeiten in Katar auch im Bauwesen. Auch hier herrscht Zwangsarbeit und Ausbeutung. Das gilt auch für Arbeiter*innen, die an Stadien, Transportinfrastruktur und anderen Einrichtungen wie z. B. Hotels für die Fußballweltmeisterschaft arbeiten. 10 Jahre nachdem Katar von der FIFA den Zuschlag für die Organisation des Turniers erhalten hat, werden Tausende von Arbeitnehmer*innen nach wie vor von skrupellosen Arbeitgeber*innen ausgebeutet. Sie bauen die Stadien für die Weltmeisterschaft, Straßen, die U-Bahn. Hat das Turnier einmal begonnen, werden sie sich in den Hotels um die Spieler und Fans kümmern, sie werden sie in Restaurants bedienen und ihnen als Fahrer zur Verfügung stehen. Sie werden für die Sicherheit an den Austragungsstätten sorgen. Wer Katar besucht, wird auf Schritt und Tritt von den Arbeitsmigrant*innen betreut werden.
Die FIFA ist dafür verantwortlich, zu handeln, wenn an Weltmeisterschaftsprojekten beteiligte Arbeitskräfte Missbrauch erleiden. Sie muss ihren Einfluss geltend machen, um Katar zum angemessenen Schutz der Arbeitsmigrant*innen zu drängen. Deshalb fordern wir die FIFA auf, gegen die Verletzung der Rechte der Arbeitnehmer*innen anzugehen. Unterstütze die weltweite Petition wird an FIFA-Präsident Gianni Infantino!
Die Digitalisierung bedeutet für viele von uns weitreichende Veränderungen für die Art, wie wir arbeiten. Neben mehr Flexibilität und örtlicher Unabhängigkeit bringt sie auch bedrohliche Entwicklungen, etwa durch die so genannte “Gig Economy”, in der digitale Plattformen durch Scheinselbstständigkeit die Rechte ihrer Mitarbeiter*innen untergraben. In der Gig Economy werden Aufträge kurzfristig und oft via App am Smartphone vergeben. Ausgeführt werden die Aufträge nicht von Angestellten des Unternehmens, sondern von selbstständigen Auftragnehmer*innen. Fahrer*innen bei Uber oder Zustell-"Rider" bei Lieferdiensten wie Glovo oder Deliveroo – die Firmen sind darauf bedacht, ihre Arbeiter*innen, die offiziell selbstständig sind, per Auftrag zu bezahlen. Die Unternehmen werben mit flexiblen Arbeitszeiten, dafür erhalten die selbstständigen "Gigworker" weder bezahlten Urlaub noch Krankenstand. Wartezeiten zwischen Aufträgen – zum Beispiel zwischen den Fahrten von Uber-Fahrer*innen – werden vom Unternehmen nicht bezahlt.
Obwohl Uber und andere Plattformunternehmen, die auf Technologie setzen, ein Phänomen des 21. Jahrhunderts sind, ist die Gig Economy nicht neu. Sie existiert in verschiedenen Formen seit Anfang des 20. Jahrhunderts, als Jazzmusiker unregelmäßig und für jeden ihrer "Gigs" eine Gage erhielten. Die heutigen Gig-Arbeiter sind oft Migrant*innen oder Menschen, die ihre Arbeit in anderen Branchen verloren haben. Es wäre kurzsichtig, die Verbindung zwischen den prekären Arbeitsbedingungen der Arbeiter*innen und dem Geschäftsmodell der digitalen Plattformunternehmen zu übersehen.
Im März 2021 kündigte Uber an, dass seine Fahrer*innen zukünftig als Arbeitnehmer*innen behandelt werden und ihnen ein Mindestlohn und bezahlter Urlaub garantiert wird. Das geschah nach einem Urteil des Obersten Gerichtshofs des Vereinigten Königreichs, der entschied, dass Uber-Fahrer*innen nach geltendem Recht Arbeitnehmer*innen sind und daher Anspruch auf den Mindestlohn, bezahlten Urlaub und weitere Arbeitsrechte haben.
Dank der Mobilisierung der „Gig workers“ und ihrer Erfolge auch vor Gerichten in Spanien, Italien, Frankreich und den Niederlanden sind sowohl Regierungen als auch EU-Institutionen zunehmend bereit, anzuerkennen, dass Arbeiter*innen besser geschützt werden müssen. Nun müssen sie dringend die rechtlichen Schlupflöcher schließen, die es digitalen Plattformunternehmen ermöglichen, auf "unabhängige Auftragnehmer*innen" ohne Arbeits- und Sozialversicherungsrechte zurückzugreifen.
In Spanien und im Schweizer Kanton Genf wurden bereits einige ermutigende gesetzgeberische Schritte in diese Richtung unternommen. In einer am 24. Februar 2021 gestarteten Konsultation zur Gig-Economy weist die Europäische Kommission darauf hin, dass bestimmte Arten von Plattformarbeit mit prekären Arbeitsbedingungen verbunden sind und, dass es den vertraglichen Vereinbarungen an Transparenz und Vorhersehbarkeit mangelt. Die Konsultation spricht außerdem Probleme im Bereich Gesundheit und Sicherheit an sowie den unzureichenden Zugang zu sozialem Schutz für Plattform-Arbeiter*innen.
Die Internationale Arbeitsorganisation stellte in ihrem letzten Bericht fest, dass in Ermangelung eines angemessenen Rechtsrahmens der Schutz der Arbeitnehmer*innenrechte in der Gig Economy teilweise durch Gerichtsurteile erreicht werden könnte. Doch das Beispiel Uber, das Fahrer*innen bereits 2016 vor ein Arbeitsgericht gebracht hatten, zeigt, wie zeit- und ressourcenaufwendig diese Strategie ist.
Flexibilität in der Arbeitswelt ist wichtig, aber sie darf nicht durch prekäre Arbeitsverhältnisse erzielt werden. Menschen dürfen nicht vor die Wahl gestellt werden – zwischen flexibler Arbeit und ihren Rechten. Auch flexible Arbeit erfordert die Einhaltung des internationalen Rechts und der geltenden Standards für Arbeitnehmer*innenrechte. Es ist Zeit, dass Unternehmen diese respektieren und Regierungen dafür sorgen, dass sie ausnahmslos von allen Unternehmen eingehalten werden.
24-Stunden-Betreuer*innen sind zu einem zentralen Bestandteil der Pflegesysteme wohlhabender Länder in Europa geworden, auch in Österreich. Die Betreuer*innen, die großteils aus dem Ausland pendeln, leisten tagtäglich wichtige Arbeit, auf die sehr viele von uns früher oder später angewiesen sind: Rund um die Uhr tragen sie Sorge für ältere Menschen, die sich nicht mehr alleine um sich selbst kümmern können. Mit der Betreuung älterer Menschen, 24 Stunden am Tag, erfüllen die Betreuer*innen eine anspruchsvolle und psychisch sowie physisch sehr belastende Aufgabe. Sie sind von ihren eigenen Familien meist mehrere Wochen lang getrennt und leben im Haus ihrer Klient*innen, um sie rund um die Uhr versorgen zu können.
In Österreich gibt es mehr als 60.000 24-Stunden-Betreuer*innen mit Gewerbeberechtigung. Der Großteil der 24-Stunden-Betreuer*innen in Österreich sind Migrant*innen aus benachbarten EU-Mitgliedstaaten, die überwiegende Mehrheit von ihnen sind Frauen. Ca. 27.600 Betreuer*innen, die in Österreich arbeiten, stammen aus Rumänien und ca. 24.000 Betreuer*innen aus der Slowakei. (Quelle: Arbeiterkammer.at)
So wichtig die Arbeit der 24-Stunden-Betreuer*innen für die Gesellschaft ist, so wenig wird sie anerkannt. Die Betreuer*innen arbeiten häufig unter unsicheren, unfairen und ungerechten Bedingungen. Sie können weder ihr Honorar selbst verhandeln, noch bekommen sie einen Mindestlohn. Ihre Pausen existieren oftmals nur auf dem Papier und nachts haben sie Rufbereitschaft. Viele 24-Stunden-Betreuer*innen haben zu wenig Informationen über ihre Rechte und Pflichten als Selbstständige. Das führt dazu, dass sie bei Krankheit schlecht versichert sind und sich im schlimmsten Fall verschulden. Oft haben sie auch keine Arbeitslosenversicherung, da diese freiwillig abgeschlossen werden muss und nicht von der Pflichtversicherung umfasst ist. Das wirkt sich auch auf ihre Situation im Alter aus: Viele 24-h-Betreuer*innen sind im Alter von Armut betroffen.
Die Rechte von 24-h-Betreuer*innen in Österreich müssen dringend besser geschützt werden. Amnesty setzt sich dafür ein, dass mehr Menschen die wichtige Arbeit der 24-h-Betreuer*innen bewusst wird, die Betreuer*innen besseren Zugang zu Information erhalten und ihre Arbeitsbedingungen auf struktureller Ebene verbessert werden.