© Sergio Ortiz/Amnesty International
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Honduras: Frauen sind gezwungen ihre Heimat zu verlassen

13. November 2018

ES BRICHT MIR DAS HERZ, ABER ICH MUSS WEITERMACHEN“: DIE HONDURANISCHEN FRAUEN SIND GEZWUNGEN IHRE HEIMAT ZU VERLASSEN.

von Duncan Tucker, Louise Tillotson und Sergio Ortiz

Nach 23 Tagen harter Reise durch strömenden Regen und tropischer Hitze macht Suyapa* eine dringend benötigte Pause in einem weitläufigen Schutzraum für Mitglieder der mittelamerikanischen Migrant*innen- und Flüchtlingskarawanen in einem Sportkomplex in Mexikos Hauptstadt. 

"Es war wirklich schwer, besonders für sie", sagt sie und zeigt auf ihre beiden jüngsten Söhne im Alter von sieben und  zehn Jahren. "Einer von ihnen wurde krank, aber Gott sei Dank geht es ihm jetzt besser. Wir sind viel gelaufen. Sie sind erschöpft, haben die Haut an den Füßen verloren und mussten manchmal barfuß laufen."

Wie viele der Tausenden von Menschen, die in einer Reihe von Karawanen aus Honduras, El Salvador, Guatemala und Nicaragua reisen, verließ Suyapa ihr zu Hause aus Not und nicht aus freien Stücken. 

Während Präsident Trump die Mitglieder der Karawanen "Kriminelle" genannt und über 5.000 Soldaten eingesetzt hat, um sie daran zu hindern, die Grenze zwischen den USA und Mexiko zu überschreiten, sind sehr viele von ihnen Frauen und Kinder, die einfach nur nach einem sicheren Ort suchen, um ihr Leben wieder aufzubauen.

Laut der Menschenrechtskommission von Mexiko-Stadt machten Frauen am 6. November etwa 30 % der 4.700 Menschen im Schutzraum aus. Viele von ihnen wurden von kleinen Kindern begleitet. 

Suyapa floh aus der honduranischen Stadt San Pedro Sula, nachdem Mitglieder von gewalttätigen kriminellen Netzwerken, die als Maras bekannt sind, sie und ihr bescheidenes Lebensmittelgeschäft erpressten, all ihre wöchentlichen Einnahmen forderten und dann ihren ältesten Sohn zwangen, sich ihnen anzuschließen. 

"Er hatte keine andere Wahl. Ich versuchte, es zu stoppen und sie sagten mir, dass wenn ich auf dem Land bleibe, sie meine Familie töten würden", sagt Suyapa. "Das sind keine leeren Drohungen, sie ziehen sie durch."

Die Gang gab ihr drei Tage Zeit, um zu gehen und nie wieder zurückzukommen. 

"Was habe ich getan? Verlasse mein zu Hause, verlasse alles, schnappe nur meine Kinder und verstecke die anderen, die bleiben würden, weil ich keine andere Wahl hatte."

Suyapa sagt, dass sie von der Karawane nichts wusste, als sie ihr zu Hause verließ, aber bald davon hörte und beschloss, sich ihr anzuschließen. 

Honduraner*innen stellen die Mehrheit der ersten Karawane dar, die Mexiko-Stadt auf dem Weg in die Vereinigten Staaten erreicht hat. Viele nennen die endemische Gewalt und den Mangel an staatlichem Schutz als Gründe dafür, ein land mit begrenzten Möglichkeiten und weit verbreiteter Armut zu verlassen. 

Die provisorische Unterkunft in Mexiko-Stadt, in der Zelte, Kinderwagen und Kleidung zum Trocknen aufgehängt sind, ist ein relativer Zufluchtsort für die Karawane, wobei Regierungsarbeiter*innen und Freiwillige medizinische und zahnmedizinische Versorgung und drei Mahlzeiten pro Tag anbieten. Freiwillige Friseur*innen schneiden kostenlos die Haare und Clowns unterhalten kleine Kinder, während Teenager Fußballspiele genießen. Es gibt sogar Schamanen, die geistige Heilung anbieten. 

© Sergio Ortiz/Amnesty International
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Claudia, 28, sitzt auf einer Schaukel und beobachtet ihre drei kleinen Kinder beim Spielen. Sie sind alle hauchdünn und der Jüngste ist krank. Ärzte in der Unterkunft haben ihn angeschaut, sagten aber, dass er weitere klinische Tests benötigen wird, wenn sie an ihrem Zielort ankommen. 

Claudias Familie ist über tausend Meilen gereist, ein Kind im Kinderwagen und die anderen gehend. Sie wurden gezwungen Honduras zu verlassen, nachdem eine Gang sie bedroht hatte, weil sie keine "Kriegssteuer"-Zahlungen für das kleine Geschäft ihres Mannes geleistet hatte. 

Wir würden gerne dorthin zurückkehren", sagt sie, "aber wir können nicht.

Claudia, Mitglied der mittelamerikanischen Migrant*innen- und Flüchtlingskarawane

Wie Amnesty International im vergangenen Jahr dokumentierte, sind Erpressungen oder "Kriegssteuern", die Maras von Unternehmen verlangen, in Mittelamerika alltäglich, aber die Weigerung, ihnen nachzukommen, gefährdet das eigene Leben. 

Vor ihrer Abreise schloss Claudias Familie ihr Geschäft und lebte in täglicher Angst vor den Gangs. 

"Die Polizei haben dort keine Autorität", sagt sie darüber, warum ihre Familie die Behörden nicht um Hilfe bitten konnte. "Wenn sie die Gangs melden", sagt sie, "werden sie es herausfinden und sie werden dich fertig machen."

Jetzt sagt Claudia, dass ihre Priorität darin besteht, einen sicheren Ort zu finden, an dem ihre Kinder zur Schule gehen können. 

Sie beginnt zu weinen, als sie beschreibt, wie ihre Kinder fragen, wann sie nach Hause gehen. "Es bricht mir das Herz, aber ich muss weitermachen."

© Sergio Ortiz/Amnesty International
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Die Unterkunft in Mexiko-Stadt stellt eine seltene Gelegenheit für diejenigen in den Karawanen dar, emotionale Unterstützung zu erhalten. 

"Es ist nicht einfach für sie, ihr Land zu verlassen. Sie müssen mit Schmerzgefühlen umgehen", sagt Marlen Nava vom Mexikanischen Institut für Notfallpsychologie, eine von mehreren Freiwilligengruppen, die Mitgliedern der Karawane helfen. 

"Wir sehen eine Menge Angst, viel Stress, viele physiologische Reaktionen und eine Menge reaktive Bindungsstörungen bei Kindern. Wenn sie von ihren Eltern getrennt sind, reagieren sie mit Angst, Weinen oder sogar Regressionen, wenn ein neun- oder zehnjähriges Kind plötzlich wieder wie ein Baby zu reden beginnt." 

Die Unterstzützung, die Nava und ihre Kolleg*innen Flüchtlingen bieten können, ist begrenzt und sie ist besonders über das was sie als "Entmenschlichung" der Reisenden in der Karawane bezeichnet. 

"Leider gibt es eine Menge Stigmata und sie werden wie Kriminelle behandelt. Die meisten von ihnen sind Familien, es sind Frauen und alleinerziehende Mütter, die mit ihren Kindern oder allein kamen, weil sie ihre Familien zurückgelassen haben, um einen Weg zu finden, sie zu unterstützen", sagt sie. 

"Wir sind alle Menschen. Ich denke jede*r sollte die Möglichkeit haben, das Beste für seine/ihre Familie zu finden. Wir müssen die Gründe für die Entscheidung, ihre Länder zu verlassen, respektieren."

Lorena, eine 30-jährige Transgender-Frau, die in Honduras Sexarbeiterin war, sagt sie sei wegen der weit verbreiteten Homophobie gegangen, die zu ständiger Gewalt von Polizei und Klienten führte. 

Laut Amnesty International sind Transgender-Frauen in Mittelamerika besonders stark von Gewalt und Erpressung durch Gangs und Missbrauch durch die Polizei bedroht. 

"In meinem Land hören die Behörden nicht auf dich, sie nehmen dich nicht ernst...weil du homosexuell bist", sagt Lorena. 

Da Transgender-Frauen in Transit- und Zielländern oft mit weiterer Gewalt und Diskriminierung konfrontiert sind, entschied sich Lorena für den Beitritt zur Karawane, weil sie sich in einer größeren Gruppe sicherer fühlte. Obwohl sie erwartet, dass sie bei ihrer Ankunft in den Vereinigten Staaten festgehalten wird, glaubt sie, dass es das Risiko wert ist, der Gewalt in Honduras zu entkommen. 

"Selbst wenn Präsident Trump Truppen an die Grenze schickt", sagt sie, "kann er Frauen und Kinder nicht töten."

© Sergio Ortiz/Amnesty International
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Obwohl schwierigere Zeiten bevorstehen, während die Karawane ihren Weg durch Nordmexiko findet, wo die Temperaturen extremer sind, die Infrastruktur dünner ist und die organisierte Kriminalität häufiger auftritt, sind die meisten Mitglieder der Karawane unbeirrt. 

Suyapa bleibt entschlossen, die Vereinigten Staaten zu erreichen, damit sie ihre Söhne in Sicherheit großziehen kann. 

"Mein Traum ist es, auf die andere Seite zu kommen und meine Kinder mitbringen zu können und ein besseres Leben zu führen, vor allem damit sie in Frieden lernen können", sagt sie. 

Aber es ist ein Traum, der aus der Notwendigkeit und den unerträglichen Umständen in ihrer Heimat geboren wurde. 

Glaubst du, ich wollte mit meinen Kindern hierher kommen? Niemals. Ich hätte mein Land nie verlassen wollen, wenn das Leben dort anders gewesen wäre.

Suyapa, Mitglied der mittelamerikanischen Migrant*innen- und Flüchtlingskarawane
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* Die Namen wurden geändert um die Identität der Personen zu schützen