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Der chilenische Staat gefährdet Venezolaner*innen, die aus ihrem Land geflohen sind und Schutz suchen, weil er internationale Verpflichtungen und nationale Gesetze nicht einhält. Dies stellt Amnesty International in einem neuen Bericht fest mit dem Titel “No one wants to live in hiding“: Lack of protection for Venezuelan refugees in Chile (Niemand will im Verborgenen leben: Mangelnder Schutz für venezolanische Geflüchtete in Chile), der die Aussagen von 12 venezolanischen Frauen enthält.
"Es ist bedauerlich, dass die wichtigsten Länder der Welt, die venezolanische Geflüchtete aufnehmen, ihrer Verpflichtung nicht nachkommen, denjenigen Schutz zu gewähren, die aus Venezuela fliehen. Wir hatten bereits die enormen Herausforderungen in Kolumbien, Peru und Ecuador dokumentiert; und nun haben wir gezeigt, dass die chilenische Regierung weit davon entfernt ist, diesen Trend zu brechen und ihnen internationalen Schutz oder eine reguläre Einwanderung zu gewähren, und stattdessen seit Jahren einen unüberwindbaren Hindernisparcours aufbaut, um sie daran zu hindern, sich im Land niederzulassen", sagte Erika Guevara Rosas, Amerika-Direktorin bei Amnesty International.
Offiziellen Zahlen zufolge leben in Chile etwa 444.400 Venezolaner*innen - eine konservative Zahl, da sie vom Dezember 2021 stammt. Damit liegt das Land hinter Kolumbien, Peru und Ecuador, die rund 2.500.000, 1.500.000 bzw. 502.000 Venezolaner*innen aufgenommen haben. Zusammen beherbergen diese vier lateinamerikanischen Länder fast 70 % der 7,17 Millionen Menschen, die aufgrund der komplexen humanitären Notlage, der Menschenrechtskrise und möglicher Verbrechen gegen die Menschlichkeit aus Venezuela geflohen sind.
Die globalen Zahlen steigen kontinuierlich an, ebenso wie die Anzahl der Zielländer. So sind die USA nach offiziellen Angaben aus dem Jahr 2021 mit 545.000 Venezolaner*innen inzwischen das drittgrößte Aufnahmeland weltweit.
Die Aussagen der in Chile lebenden Venezolanerinnen verdeutlichen die Hindernisse, die Menschen seit Jahren überwinden müssen, denen es gelungen ist, in das chilenische Staatsgebiet einzureisen um internationalen Schutz zu ersuchen oder ihren Migrationsstatus zu legalisieren. Zu diesen Hindernissen gehören die Auferlegung von Einreisevisa mit unmöglichen Anforderungen, die Verweigerung der Einreise an der Grenze, fehlende Informationen über das Recht, internationalen Schutz zu beantragen, sowie die Anwendung illegaler Praktiken, die von Personen, die den Flüchtlingsstatus beantragen, verlangen, sich selbst bei den Behörden wegen illegaler Einreise ins Land zu melden.
Diese Maßnahmen verletzen ihr Recht, internationalen Schutz zu beantragen. Sie bringen die Menschen auch in die Gefahr der Ausweisung ohne ein rechtmäßiges Verfahren. Amnesty International hält die Verpflichtung zur Selbstanzeige bei irregulärer Einreise für äußerst bedenklich. Diese Maßnahme stellt nicht nur ein Hindernis für den internationalen Schutz dar, sondern bestraft und diskriminiert in der Praxis Geflüchtete aufgrund der Art und Weise, wie sie in das Land einreisen, und verstößt gegen das Übereinkommen über die Rechtsstellung der Geflüchteten und das dazugehörige Protokoll, das Chile unterzeichnet hat. Darüber hinaus setzt es sie der Gefahr aus, an Orte abgeschoben zu werden, an denen ihr Leben und ihre Rechte gefährdet sind, was einen Verstoß gegen den Grundsatz der Nichtzurückweisung darstellt.
"Der chilenische Staat zwingt die Mehrheit der Venezolaner*innen, über unsichere und unerlaubte Grenzübergänge einzureisen, bestraft sie aber gleichzeitig für die irreguläre Einreise und erschwert es ihnen, Asyl zu beantragen“, sagt Sofía Lanyon, Präsidentin von Amnesty International Chile. Vorschläge für Reformen des rechtlichen Rahmens für die Einwanderung müssten darauf abzielen, die Rechte von Menschen zu schützen, die sich in einer extrem verletzlichen Situation befinden, anstatt zu versuchen, ihre Ausweisung zu erleichtern und die Stigmatisierung, unter der sie leiden, zu verschärfen.
Am Vorabend des 8. März fügte sie hinzu: "Da wir uns dem Internationalen Frauentag nähern, ist dies ein idealer Zeitpunkt, um auf die Ungerechtigkeiten aufmerksam zu machen, denen venezolanische Frauen in Chile ausgesetzt sind, und gleichzeitig eine Gelegenheit, von der Regierung Antworten auf die in unserem Land begangenen Menschenrechtsverletzungen zu fordern, einschließlich der Sicherstellung eines dringenden Zugangs zu internationalem Schutz.”
In diesem Zusammenhang und im Einklang mit früheren Untersuchungen von Amnesty International zu diesem Thema ist die Situation von venezolanischen Frauen, die geschlechtsspezifische Gewalt erlebt haben und über keinen regulären Einwanderungsstatus verfügen, besonders besorgniserregend. Amnesty befürchtet, dass in Chile die schwerwiegenden Hindernisse für den Zugang zu internationalem Schutz oder anderen Formen der Regelung der Migration, die durch die Untersuchung aufgedeckt wurden, negative Auswirkungen auf die Rechte dieser Frauen haben könnten, so dass sie sich in einer Situation befinden, in der sie noch anfälliger für geschlechtsspezifische Gewalt sind.
Zusätzliche Informationen: Die Recherche von Amnesty International wurde zwischen November 2022 und Januar 2023 durchgeführt und umfasste Feldforschung in den Städten Arica, Iquique und Santiago. Zusätzlich zu den Aussagen der 12 venezolanischen Frauen befragte Amnesty International 23 Vertreterinnen und Vertreter von zivilgesellschaftlichen Organisationen, vier internationale Organisationen und neun staatliche Stellen. Es wurden auch drei Anträge auf Zugang zu Informationen gestellt. Amnesty International nutzte seine Untersuchungen in Venezuela, Kolumbien, Ecuador und Peru auch, um die Ausreise- und Transitbedingungen von venezolanischen Geflüchteten in der Region zu überprüfen. Wie in früheren Untersuchungen bezieht sich Amnesty International auf venezolanische Geflüchtete in einem Kontext, in dem der chilenische Staat die völkerrechtlichen Instrumente unterzeichnet hat, die die Verpflichtungen von Staaten gegenüber Geflüchteten festlegen, insbesondere die Genfer Konvention über die Rechtsstellung der Flüchtlinge von 1951 und die Erklärung von Cartagena von 1984, die durch das Gesetz Nr. 20.430 über den Schutz von Geflüchteten in die chilenische Gesetzgebung aufgenommen wurde. Diese Bestimmungen verpflichten den chilenischen Staat zum Schutz von Venezolaner*innen, die aus ihrem Land geflohen sind.
Omaira und Rosa sind Frauen, die geschlechtsspezifische Gewalt überlebt haben. Sie kamen im Juli bzw. September 2022 nach Chile. Beide hatten es nicht geschafft, Schutz in Ecuador und Kolumbien zu finden, den ersten Ländern, in die sie nach ihrer Flucht aus Venezuela geflohen waren.
Omaira studierte Medizin und war gezwungen, mit ihrer Familie aus Venezuela zu fliehen, weil sie verfolgt wurde. Ihr Bruder hatte sich geweigert Militärdienst zu leisten. Sie berichtete, wie 2016 ihr ecuadorianischer Partner ihre Situation ausnutzte und gewalttätig wurde. „Ich wurde depressiv, weil ich kein weiteres Kind haben wollte, ich war noch nicht bereit. Als ich gehen wollte, haben [mein Partner und seine Familie] angefangen, mich zu bedrohen, sie wollten mir [mein Baby] gewaltsam wegnehmen, weil [sie sagten], ich hätte keine Stimme in Ecuador habe, ich sei nur eine Ausländerin. "
Rosa, die nach ihrer Flucht aus Venezuela nach Kolumbien ging, erlebte eine ähnliche Situation. Sie sagte, sie habe sich in diesem Land nicht sicher fühlte, weil sie körperliche und sexuelle Gewalt durch ihren Partner erlebte. Sie wandte sich an die kolumbianischen Behörden, um Hilfe zu suchen, aber die beiden Beschwerden, die sie bei der Staatsanwaltschaft einreichte, brachten keinerlei Schutz oder Unterstützung: "Ich ging zur Staatsanwaltschaft mit einer sichtbaren Narbe und nichts geschah. Also musste ich es dort aushalten...“