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Ägypten: inhaftierte Anwältin muss ins Krankenhaus

10. Dezember 2021

Am 11. Oktober 2021 teilte die willkürlich inhaftierte Hoda Abdelmoniem den Richter*innen und ihrer Familie während eines Gerichtstermins mit, dass sie herzkrank sei und eine Herzkatheteruntersuchung benötige. Die Gefängnisbehörden weigern sich jedoch, sie zur Behandlung in ein externes Krankenhaus zu verlegen. Die ägyptische Menschenrechtsanwältin steht wegen konstruierter Anschuldigungen im Zusammenhang mit ihrer Menschenrechtsarbeit vor einem Notstandsgericht.

 

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Die Menschenrechtsanwältin Hoda Abdelmoniem wird seit mehr als drei Jahren aufgrund ihrer Menschenrechtsarbeit willkürlich festgehalten. Nachdem sie 35 Monate in Untersuchungshaft verbracht hatte, wurde sie von der Obersten Staatsanwaltschaft vor das Notstandsgericht (ESSC) zitiert. Ihr wird vorgeworfen, einer "terroristischen Vereinigung" beigetreten zu sein, sie finanziert und unterstützt zu haben. Außerdem legt man ihr zur Last, über eine Facebook-Seite mit dem Namen "Egyptian Coordination for Rights and Freedoms" Falschnachrichten über Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte verbreitet zu haben, um Gewalt gegen staatliche Einrichtungen zu schüren. Diese Vorwürfe beziehen sich auf ihre Arbeit für die Menschenrechtsorganisation Egyptian Coordination for Rights and Freedoms (ECRF).

Die ESSCs, die als Sondergerichte im Falle eines Ausnahmezustands tätig werden, sind für ihre unfairen Verfahren bekannt und ihre Urteile sind nicht anfechtbar. Hoda Abdelmoniems Recht auf eine angemessene Verteidigung wird verletzt, da sie sich mit ihrem Rechtsbeistand ausschließlich vor Gericht treffen darf. Die Fortführung des Prozesses, der am 11. September 2021 begann, wurde auf den 15. Dezember 2021 vertagt.

Bei einer Gerichtsanhörung am 11. Oktober 2021 sagte Hoda Abdelmoniem den Richter*innen, dass ihr im Gefängnis eine Herzkatheteruntersuchung verschrieben wurde und dass eine*r der Mediziner*innen ihre Freilassung aus medizinischen Gründen beantragt habe. Laut des*der Gefängnismediziner*in seien jedoch derzeit Verlegungen in Krankenhäuser außerhalb des Gefängnisses aufgrund der Corona-Pandemie ausgesetzt. Amnesty International hat jedoch Kenntnis von der Verlegung anderer Gefangener in externe Krankenhäuser seit dem Ausbruch des Coronavirus, einschließlich der kurzzeitigen Verlegung von Hoda Abdelmoniem am 30. November 2020 zur Behandlung eines vermuteten Nierenversagens. Zusätzlich zu ihrer Herzerkrankung leidet Hoda Abdelmoniem an einer Nierenerkrankung, einer arteriellen Thrombose und hohem Blutdruck. Seit ihrer Inhaftierung am 1. November 2018 verweigert ihr die Verwaltung des Frauengefängnisses Al-Qanater jeglichen Besuch und Kontakt mit ihrer Familie. Ihre Angehörigen haben außerdem nach wie vor keinen Zugang zu ihrer Krankenakte, was die Sorge der Familie um ihren Gesundheitszustand noch verstärkt. Die Richter:innen, die ihren Prozess leiten, haben Anträge auf Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung und Familienbesuche bislang abgelehnt.

Hoda Abdelmoniem engagierte sich ehrenamtlich als Rechtsberaterin bei der ECRF. Sie dokumentierte in den Jahren vor ihrer Inhaftierung Menschenrechtsverletzungen im Land, darunter auch Fälle des Verschwindenlassens. Des Weiteren ist Hoda Abdelmoniem ein ehemaliges Mitglied des nationalen Menschenrechtsrats und der Anwaltskammer von Ägypten. Ende 2013 wurde ihr ein Auslandsreiseverbot auferlegt, ohne dass sie eines Vergehens beschuldigt wurde. Am 27. November 2020 verlieh der Rat der Anwaltschaften der Europäischen Gemeinschaft (Council of Bars and Law Societies of Europe – CCBE) seinen Menschenrechtspreis 2020 an Hoda Abdelmoniem und sechs weitere in Ägypten inhaftierte Anwält:innen.

Am 1. November 2018 um 1:30 Uhr morgens drangen Sicherheitskräfte des Geheimdienstes unbefugt in die Wohnung von Hoda Abdelmoniem in Kairo ein und durchsuchten die Räumlichkeiten. Danach verbanden sie ihr die Augen und nahmen sie mit. Daraufhin wurde sie drei Wochen lang Opfer des Verschwindenlassens, bis sie zum Verhör vor die Staatsanwaltschaft der Staatssicherheit (SSSP) gebracht wurde. Anschließend brachte man sie wieder an einen unbekannten Ort. Am 24. und 28. November 2018 fanden im SSSP-Büro Treffen zwischen Hoda Abdelmoniem und ihrer Familie statt. Vom 2. Dezember 2018 bis zum 14. Januar 2019 wussten ihre Angehörigen und Rechtsbeistände jedoch wieder nichts über ihr Schicksal und ihren Verbleib.

Am 1. November 2018, dem Tag der Festnahme von Hoda Abdelmoniem, begannen die ägyptischen Behörden eine Serie von Durchsuchungen und nahmen mindestens 31 Menschenrechtsverteidiger*innen fest – zehn Frauen und 21 Männer.

Am 30. November 2020 erfuhr ihre Familie, dass Hoda Abdelmoniem wegen starker Schmerzen in ein externes Krankenhaus eingeliefert worden war. Ihre Familienangehörigen hat keinen Zugang zu ihrer Krankenakte und daher keine konkreten Informationen über den Gesundheitszustand der Menschenrechtsanwältin. Von den Familien anderer Insassinnen hörten sie jedoch, dass eine Niere von Hoda Abdelmoniem versagt habe und die andere Niere nur noch schlecht arbeite. Am 1. Dezember 2020 erklärte das Innenministerium in einem Facebook-Post, dass Hoda Abdelmoinem angemessen medizinisch versorgt worden sei und sie sich in einem stabilen Zustand befände.

Am 23. August 2021 wurde Hoda Abdelmoniem zusammen mit dem Menschenrechtsverteidiger und Gründer der ECRF, Ezzat Ghoniem, sowie mit Aisha al-Shater und Mohamed Abu Horira und 27 weiteren Angeklagten vor ein Notstandsgericht (ESSC) gestellt. Die Vorwürfe gegen sie lauteten unter anderem "Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung der Muslimbruderschaft", "Verbreitung von Falschnachrichten" über Menschenrechtsverletzungen durch Sicherheitskräfte über eine Facebook-Seite, "Finanzierung einer terroristischen Vereinigung" und Besitz von Flugblättern zur Förderung der Ziele der terroristischen Vereinigung.

Die Menschenrechtsorganisation Egyptian Coordination for Rights and Freedoms (ECRF), die das Verschwindenlassen von Personen und die zunehmende Anwendung der Todesstrafe dokumentiert sowie Opfern von Menschenrechtsverletzungen Rechtshilfe leistet, ist vom harten Vorgehen der Behörden besonders betroffen, da viele ihrer Mitglieder festgenommen wurden. In einer am 1. November 2018 veröffentlichten Erklärung kündigte die ECRF die Aussetzung ihrer Menschenrechtsarbeit an. Die Organisation bezeichnete die Situation in Ägypten als unvereinbar mit jeglicher Form der Menschenrechtsarbeit und forderte den UN-Menschenrechtsrat auf einzuschreiten.

Am 25. Oktober 2021 kündigte Präsident Abdel Fattah al-Sisi an, dass er den seit 2017 geltenden Ausnahmezustand nicht verlängern werde. Durch diesen Ausnahmezustand war die Einrichtung von ESSCs möglich. Paragraf 19 des Gesetzes über den Ausnahmezustand sieht jedoch vor, dass laufende Verfahren auch nach dessen Aufhebung fortgesetzt werden können. In den drei Monaten vor der Entscheidung bezüglich des Ausnahmezustands haben die ägyptischen Behörden jedoch noch mindestens 20 Menschenrechtsverteidiger*innen, Aktivist*innen und Oppositionelle an Notstandsgerichte überstellt. Zu den Personen, die sich derzeit vor einem Notstandsgericht verantworten müssen, gehören der ehemalige Präsidentschaftskandidat und Gründer der Oppositionspartei Misr Al-Qawia, Abdelmoniem Aboulfotoh, sowie deren Vizevorsitzender Mohamed al-Kassas. Am 17. November 2021 wurden die Politiker Zyad el-Elaimy, Hossam Moanis und Hisham Fouad in einem unfairen Verfahren von einem Notstandsgericht zu Haftstrafen zwischen drei und fünf Jahren verurteilt, nur weil sie die Menschenrechtslage, die Wirtschaftspolitik und den Lebensstandard in Ägypten kritisiert hatten.

Amnesty International hat dokumentiert, dass Verfahren vor Notstandsgerichten per se unfair sind. Die Angeklagten dürfen gegen ihren Urteilsspruch und das Strafmaß keine Rechtsmittel bei einem höheren Gericht einlegen. Nur der Präsident ist befugt, Urteile zu genehmigen, aufzuheben oder umzuwandeln oder eine Wiederaufnahme des Verfahrens anzuordnen. Außerdem werden den Angeklagten die Rechte auf angemessene Zeit und Mittel für die Vorbereitung der Verteidigung, auf Kommunikation mit einem Rechtsbeistand ihrer Wahl und auf eine öffentliche Anhörung verweigert. Wenn Rechtsbeistände die Akten ihrer Mandant*innen, die in einigen Fällen mehr als 2.000 Seiten umfassen, kopieren wollen, wird dies von den Richter*innen routinemäßig abgelehnt. Stattdessen sollen sie die Akten im Gericht einsehen. Staatsanwält*innen und Richter*innen verletzten auch das Recht der Angeklagten auf genaue Informationen über Art und Grund der gegen sie erhobenen Anschuldigungen, indem sie weder ihnen noch ihren Rechtsbeiständen Kopien der Anklageschriften zukommen ließen.