Deine Spende wird heute verdoppelt
Jede Spende bis zum 31. Dezember wird verdoppelt. So entfaltet dein Beitrag doppelte Wirkung und schützt weltweit die Rechte von Menschen in Gefahr.
zur Pressemitteilung im englischen Original
Offizielle Briefe, die Amnesty International kürzlich zugespielt wurden, zeigen, dass die iranische Regierung wiederholte Bitten hoher - für die Verwaltung iranischer Gefängnisse verantwortlicher - Beamter um zusätzliche Ressourcen zur Kontrolle der Verbreitung von COVID-19 und zur Behandlung infizierter Gefangener ignoriert hat.
Die Organisation überprüfte Kopien von vier Briefen an das Gesundheitsministerium, die von Beamten der iranischen Gefängnisorganisation (welche wiederum unter der Aufsicht der Justiz arbeitet) unterzeichnet wurden und Alarm schlagen hinsichtlich eines ernsthaften Mangels an Schutzausrüstung, Desinfektionsmitteln und wichtigen medizinischen Geräten. Das Gesundheitsministerium reagierte nicht, und die iranischen Gefängnisse sind nach wie vor katastrophal schlecht gerüstet, um Ausbrüchen zu entgegen.
Diese offiziellen Briefe liefern vernichtende Beweise für das Versagen der Regierung, Gefangene zu schützen. Dringende Bitten um Ressourcen werden seit Monaten ignoriert.
Diana Eltahawy, stellvertretende AI-Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika
Die Einzelheiten in den Briefen stehen in krassem Gegensatz zu den öffentlichen Äußerungen Asghar Jahangirs - dem ehemaligen Leiter der Gefängnisorganisation und derzeitigen Berater des Leiters der Justiz. Jahangir lobte Irans "beispielhafte" Initiativen zum Schutz der Gefangenen vor der Pandemie und dementierte Berichte über steigende Infektionsraten und Todesfälle im Zusammenhang mit COVID-19 in den Gefängnissen aufgrund von Überbelegung, unhygienischen Bedingungen und fehlendem Zugang zu medizinischer Versorgung.
"Diese offiziellen Briefe sind ein vernichtender Beweis für das erschreckende Versagen der Regierung, Gefangene zu schützen. Bitten um dringend benötigte Desinfektionsprodukte, Schutzausrüstungen und medizinische Geräte werden seit Monaten ignoriert. Dies ist besonders alarmierend, da in den Briefen auch auf die Anwesenheit einer äußerst anfälligen Bevölkerung in den iranischen Gefängnissen hingewiesen wird", sagte Diana Eltahawy, stellvertretende Regionaldirektorin für den Nahen Osten und Nordafrika von Amnesty International.
"Überbelegung, schlechte Belüftung, Mangel an grundlegenden sanitären Einrichtungen und medizinischer Ausrüstung sowie die bewusste Vernachlässigung der Gesundheitsprobleme der Gefangenen machen die iranischen Gefängnisse zu einem perfekten Nährboden für COVID-19. Die iranischen Behörden müssen aufhören, die Gesundheitskrise in den iranischen Gefängnissen zu leugnen und dringend Maßnahmen ergreifen, um die Gesundheit und das Leben der Insassen zu schützen."
Der Leiter des Gesundheitsbüros der Organisation der Gefängnisse (Anmerkung: Irans Prisons Organization) übermittelte dem iranischen Gesundheitsministerium am 29. Februar 2020 erstmals einen Brief. Am 25. März 2020, 12. Mai 2020, 14. Juni 2020 und 5. Juli 2020 wurden vier Folgeschreiben eingereicht, die von Amnesty International eingesehen wurden.
Der Brief vom 25. März 2020 fordert Desinfektionsprodukte und Schutzausrüstung für die Dauer von drei Monaten, darunter "5.400.000 Masken, 100.000 N95-Masken, 3.600.000 Latexhandschuhe, 10.000.000 Kunststoffhandschuhe, 450.000 Liter Handdesinfektionsmittel und 1.000.000 Liter Flächendesinfektionsmittel, 5.000 Gesichtsschutzschilde, 5.000 Schutzbrillen, 5.000 Schutzkittel, 300 Belüftungssysteme und 250 Desinfektionsgeräte". Der Brief unterstreicht auch den dringenden Bedarf an Finanzmitteln, um Hunderte von wichtigen medizinischen Geräten - darunter Blutdruck- und Blutzuckermessgeräte, Thermometer, Pulsoximeter, Stethoskope und Defibrillatoren - anschaffen zu können.
Der Brief warnt davor, dass die Untätigkeit "Sicherheitsrisiken" und "irreparable Schäden" zur Folge haben wird.
Aus dem Schreiben geht zwar nicht klar hervor, für wie viele Gefängnisse diese Gegenstände und Geräte bestimmt sind, jedoch geben die Zahlen Anlass zu Sorge hinsichtlich sehr ernster Engpässe in den Gefängnissen im ganzen Land.
Der Brief warnt davor, dass "Sicherheitsrisiken" und "irreparable Schäden" aus Untätigkeit resultieren werden, insbesondere wenn man bedenkt, dass in iranischen Gefängnissen "Personen sitzen, die medizinische Vorerkrankungen haben, Drogen nehmen und/oder an Unterernährung, Anämie und Infektionskrankheiten wie HIV, Hepatitis und Tuberkulose leiden". Ebenso wird darin festgestellt, dass die iranischen Gefängnisse "ältere [Menschen], schwangere Frauen, stillende Mütter und ihre Säuglinge beherbergen, die aufgrund ihres niedrigen sozioökonomischen Status und ihrer geringen Hygiene unter einem schwachen Immunsystem leiden".
In späteren Briefen werden diese Forderungen wiederholt und bestätigt, dass eine Antwort der Regierung bisher ausblieb. Im letzten Brief, den Amnesty International am 5. Juli 2020 erhielt, erklärt ein hoher Beamter der Strafvollzugsorganisation, dass sie keine Antwort vom Gesundheitsministerium erhalten hätten, und bittet um ein dringendes Treffen.
Am 6. April 2020 sagte Asghar Jahangir in einem Interview, dass der Iran für seine Bemühungen um den Schutz der Gefangenen während des COVID-19-Ausbruchs international anerkannt werden müsse, und behauptete, dass die Gefangenen "bessere Standards der Gesundheitsversorgung und der sanitären Einrichtungen genießen, als sie es in der Gesellschaft tun würden". Er behauptete auch, dass medizinische Teams in Gefängnissen im ganzen Land stationiert worden seien, um die Gesundheit der Gefangenen täglich zu überwachen, und dass Gefangene, die Symptome zeigen, sofort getestet und in Krankenhäuser außerhalb des Gefängnisses verlegt werden, wenn die Ergebnisse positiv sind. Infolgedessen behauptete er, dass es in den Gefängnissen keinen einzigen Todesfall im Zusammenhang mit COVID-19 gegeben habe.
Die von Amnesty International beschafften Dokumente zeichnen jedoch zusammen mit den Informationen, die von Gefangenen und ihren Familien sowie von unabhängigen Menschenrechtsverteidigern übermittelt wurden, ein weitaus düstereres Bild.
Amnesty International hat beunruhigende Berichte über Gefangene mit COVID-19-Symptomen erhalten, die tagelang vernachlässigt wurden, selbst wenn sie bereits vorher Herz- und Lungenprobleme, Diabetes oder Asthma hatten. Wenn sich ihr Zustand verschlechtert, werden viele von ihnen lediglich in einem separaten Abschnitt des Gefängnisses unter Quarantäne gestellt oder in Einzelhaft untergebracht, ohne Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung.
Mindestens eine Gefangene mit positivem Testergebnis, Zeynab Jalalian, ist seit dem 25. Juni 2020 gewaltsam verschwunden. Da sich die Behörden weigerten, sie zur Behandlung im Zusammenhang mit COVID-19 in ein medizinisches Zentrum außerhalb des Gefängnisses Shahr-e Rey (auch als Gharchak-Gefängnis bekannt) in der Provinz Teheran zu verlegen, war sie sechs Tage zuvor in den Hungerstreik getreten.
Manchmal haben sich die Behörden geweigert, die Gefangenen über die Ergebnisse ihrer COVID-19-Tests zu informieren, wie zuletzt im Fall der kranken Menschenrechtsverteidigerin und Gewissensgefangenen Narges Mohammadi zu sehen war.
Unabhängige Menschenrechtsgruppen mit Kontakten innerhalb von Gefängnissen haben über mehr als 20 Fälle von vermuteten Todesfällen im Zusammenhang mit COVID-19 in Gefängnissen berichtet, darunter auch aus dem
Ein Antrag von WHO-Beamten, das Evin-Gefängnis in Teheran zu besuchen, wurde laut Medienberichten im März 2020 abgelehnt.
Die iranischen Behörden gaben bekannt, dass sie zwischen Ende Februar und Ende Mai 2020 rund 128.000 Gefangene vorübergehend auf Urlaub entlassen und als Reaktion auf den Ausbruch weitere 10.000 begnadigt haben. Am 15. Juli 2020, als die Zahl der COVID-19-Fälle erneut anstieg, gab der Sprecher der Justiz bekannt, dass der Justizleiter neue Richtlinien herausgegeben habe, um eine zweite Runde von Beurlaubungen zu erleichtern.
Hunderte von politischen Gefangenen wurden jedoch von diesen willkommenen Maßnahmen ausgeschlossen, darunter Menschenrechtsverteidiger*innen, Ausländer und Doppelbürger*innen, Umweltschützer*innen, Personen, die aufgrund ihrer religiösen Überzeugungen inhaftiert sind, und Menschen, die im Zusammenhang mit den Protesten vom November 2019 willkürlich inhaftiert wurden. Die Behörden haben auch weiterhin zu Unrecht verurteilte Demonstrant*innen, Dissident*innen, Aktivist*innen für Minderheitenrechte und Menschenrechtsverteidiger*innen festgenommen, um mit der Verbüßung von Gefängnisstrafen zu beginnen. Einige politische Gefangene wurden ebenfalls ins Gefängnis zurückgerufen, nachdem sie im März 2020 beurlaubt worden waren.
Wir rufen die iranischen Behörden erneut dazu auf, dringend etwas gegen die Überfüllung der Gefängnisse zu tun, unter anderem alle Personen, die wegen der friedlichen Ausübung ihrer Rechte inhaftiert sind, sofort und bedingungslos freizulassen.
Diana Eltahawy
Jüngsten offiziellen Angaben zufolge betrug die Zahl der iranischen Gefangenen am 13. Juni 2020 rund 211.000 - das ist 2,5x mehr als die offiziell angegebene Kapazität von 85.000. Im Juli des vergangenen Jahres betrug die Zahl der iranischen Gefangenen nach offiziellen Angaben 240.000.
Weitere weithin dokumentierte Besorgnis in den iranischen Gefängnissen bereiten der Mangel an angemessenen Belüftungs- und Klimaanlagen, schmutzige und unzureichende Toiletteneinrichtungen, das Fehlen angemessener Einrichtungen und Produkte, damit die Gefangenen ihr Geschirr und ihre Kleidung waschen und ihre persönliche Hygiene aufrechterhalten können, der niedrige Wasserdruck in den Duschen, der weit verbreitete Insektenbefall, unzureichendes Trinkwasser und Nahrungsmittel von geringer Qualität sowie ein gravierender Mangel an Betten, was bedeutet, dass viele Gefangene auf dem Boden schlafen müssen.
Seit dem Ausbruch des Virus beschweren sich die Gefangenen in einigen Gefängnissen auch über die unsachgemäße Verwendung von Bleichmitteln zur Desinfektion von Oberflächen durch die Behörden, was die schlechte Luftqualität verschlimmert und zu schwerem Husten, Engegefühl in der Brust und Asthmaanfällen führt.
Amnesty International hat bereits früher dokumentiert, dass die iranischen Behörden Gefangenen aus Gewissensgründen und anderen, die im Zusammenhang mit politisch motivierten Fällen inhaftiert sind, absichtlich die medizinische Versorgung verweigern und damit ihr Leben und ihre Gesundheit ernsthaft gefährden. In einigen Fällen diente die Verweigerung von medizinischer Versorgung dazu, Gefangene zu bestrafen, einzuschüchtern oder zu demütigen oder erzwungene "Geständnisse" zu erzwingen.
"Wir fordern die iranischen Behörden erneut dazu auf, dringend etwas gegen die Überfüllung der Gefängnisse zu tun, unter anderem alle Personen, die wegen der friedlichen Ausübung ihrer Rechte inhaftiert sind, sofort und bedingungslos freizulassen", sagte Diana Eltahawy.
"Sie müssen auch die Freilassung anderer in Betracht ziehen, insbesondere von Kindern, Untersuchungshäftlingen und solchen, die durch das Virus möglicherweise stärker gefährdet sind. Die Gefangenen müssen gleichberechtigten Zugang zu Prävention, Tests und Behandlung von COVID-19 haben".
Amnesty International fordert die iranischen Behörden außerdem auf, allen Gefangenen Zugang zu angemessener Nahrung, Wasser, Gesundheitsversorgung, Hygiene und Bettzeug zu gewährleisten. Sie sollten die Anwendung von Folter und anderen Misshandlungen beenden, die Gefangenen mit Würde und Menschlichkeit behandeln und es internationalen Beobachtern - einschließlich des UN-Sonderberichterstatters für die Menschenrechtssituation im Iran - ermöglichen, unabhängige, unangekündigte Inspektionen von Gefängnissen im Einklang mit internationalen Standards durchzuführen.
Seit März 2020 haben die schrecklichen Zustände in den iranischen Gefängnissen und die Besorgnis über die Ausbreitung des Coronavirus zu Hungerstreiks, Protesten, Ausschreitungen und Fluchtversuchen in den Gefängnissen im ganzen Land geführt. Die Behörden haben im Allgemeinen gewaltsam auf die Proteste in den Gefängnissen reagiert, indem sie übermäßige oder unnötige Gewalt anwandten und in einigen Fällen Tränengas, Metallpellets und scharfe Munition abfeuerten, was zu Toten und Verletzten führte.