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Russ. Föderation: Mutter von Menschenrechtler entführt

2. Februar 2022

Am 20. Januar wurde Zarema Musaeva von mindestens sieben Männern aus ihrer Wohnung in der zentralrussischen Stadt Nischni Nowgorod entführt. Diese sprachen tschetschenisch und fuhren Autos mit tschetschenischen Kennzeichen. Später bestätigten die tschetschenischen Behörden, dass sie sich bei ihnen in Gewahrsam befände, verweigerten jedoch ihren Rechtsbeiständen die Erlaubnis, sie zu sehen. Zarema Musaeva ist die Mutter eines tschetschenischen Menschenrechtsanwalts. Sie hat keine international anerkannte Straftat begangen und muss umgehend freigelassen werden.

 

Setz dich für Zarema Musaeva und ihre Familie ein!

 

Sachlage

Die Entführung von Zarema Musaeva aus ihrer Wohnung in Nischni Nowgorod am 20. Januar 2022 ist mehr als bersorgniserregend. Es wurde mittlerweile bestätigt, dass es sich bei ihren Entführern um tschetschenische Beamte handelt. Die tschetschenischen Behörden gaben am 21. Januar bekannt, dass Zarema Musaeva 15 Tage Verwaltungshaft für "geringfügiges Rowdytum" absitzen muss. Sie leidet an einer ernstzunehmenden Erkrankung, welche sie eigentlich gemäß russischem Recht von einer solchen Verwaltungshaft ausschließt. Außerdem soll sie keinen Zugang zu überlebenswichtigen Medikamenten haben. Sie wird ohne Kontakt zur Außenwelt festgehalten und der Zugang zu ihren Rechtsbeiständen wird ihr bislang verwehrt, angeblich, da sie deren Unterstützung ausgeschlagen hat. Am 2. Februar wurde in den Medien berichtet, dass sie aufgrund von konstruierten Anklagen zwei Monate in Untersuchungshaft genommen worden sei: Angeblich soll sie einem*r Polizist*in gegenüber gewalttätig geworden sein. Für diese Straftat könnte sie mit bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft werden.

Zarema Musaevas Familienangehörige erfahren schon über Jahre hinweg Vergeltungsmaßnahmen von den tschetschenischen Behörden. Einer ihrer Söhne berichtete von seiner geheim gehaltenen Inhaftierung und Folter in den Jahren 2015/2016, sowie der anschließenden unbegründeten Strafverfolgung. Ebenfalls im Jahr 2015 wurde ihr Ehemann, der Bundesrichter Saydi Yangulbaev, zum Rücktritt gezwungen, außerdem wurde sein Haus rechtswidrig durchsucht. Ihr ältester Sohn, der Menschenrechtsanwalt Abubakar Yangulbaev, erhielt anonyme Drohungen. Am 21. Januar 2022 sprach der Präsident der russischen Teilrepublik Tschetschenien, Ramsan Kadyrow, öffentlich die Drohung aus, dass der richtige "Ort" für Angehörige dieser Familie "entweder im Gefängnis oder unter der Erde" sei.

Zarema Musaeva hat keine Straftat begangen und wird von den tschetschenischen Behörden rechtswidrig ihrer Freiheit beraubt. Dies geschieht als Vergeltungsmaßnahme für die Enthüllungen ihrer Familienmitglieder über die Menschenrechtsverstöße, die sie erfahren haben, sowie für deren Aktivismus.

 

Hintergrundinformation

Im Dezember 2021 berichtete der Menschenrechtsanwalt Abubakar Yangulbaev, dass 21 seiner Verwandten in Tschetschenien von Mitgliedern der örtlichen Behörden entführt und in geheime Hafteinrichtungen gebracht worden waren. Dort waren sie Misshandlungen und Drohungen ausgesetzt. Mit ihnen wurden Dutzende Angehörige von anderen Familien festgehalten, die Verwandte von im Exil lebenden Kritiker*innen der tschetschenischen Behörden sind. Obwohl die Mehrheit von Abubakar Yangulbaevs Familienangehörigen wieder freigelassen wurde, sind zwei von ihnen weiterhin in Polizeigewahrsam. Im Januar berichtete er außerdem, dass andere Familienmitglieder auf ähnliche Weise entführt wurden. Es gibt diesbezüglich aber keine verlässlichen Informationen, wie z. B. die Identität oder das Schicksal der involvierten Personen. Im Dezember 2021 wurde Abubakar Yangulbaev selbst für eine kurze Zeit in Pjatigorsk (Nordkaukasus) festgehalten, und als Zeuge in einem Kriminalfall verhört, bei dem es um die "Rechtfertigung von Terrorismus" (Artikel 205 Absatz 2 des russischen Strafgesetzbuchs) ging.

Am 20. Januar wurde dann seine Mutter Zarema Musaeva durch die tschetschenische Polizei in Nischni Nowgorod festgenommen, wo sie mit ihrem Ehemann, dem ehemaligen Bundesrichter Saydi Yangulbaev, und ihrer gemeinsamen Tochter lebt. Mindestens sieben Männer, die tschetschenisch sprachen und deren Autos tschetschenische Kennzeichen hatten, drangen in ihre Wohnung ein und nahmen sie gewaltsam mit. Die Männer gaben dafür den Vorwand an, dass sie als Zeugin in einem Kriminalfall aussagen müsse. Ein Video, das von einer Überwachungskamera aufgezeichnet und seitdem auch veröffentlicht wurde, zeigt, wie sie ohne Wintermantel oder Schuhe in eine verschneite Straße gebracht wird. Man sieht, wie die Männer sie zwingen, in ein Auto einzusteigen, und dann wegfahren.

Zarema Musaevas Schicksal und ihr Aufenthaltsort waren bis zum nächsten Tag unbekannt. Dann erst bestätigten tschetschenische Behörden, dass sie sich bei ihnen in Gewahrsam befindet. Es wurde behauptet, dass sie eine*n Polizist*in angegriffen habe und nun wegen "geringfügigem Rowdytum" für 15 Tage in Verwaltungshaft verbleiben müsse. Später berichteten die Medien jedoch, dass wegen des Vorwurfs der Gewaltanwendung gegen Polizeibeamt*innen Strafanzeige gegen Zarema Musaeva erstattet würde.

Am 21. Januar verbreitete der tschetschenische Staatschef Ramsan Kadyrow eine unmissverständliche Morddrohung gegen die Familie von Abubakar Yangulbaev über seinen Telegram-Kanal. Er wirft der Familie vor, "die Ehre der Tschetschenen zutiefst verletzt" zu haben.

Zarema Musaeva leidet an Diabetes und ist auf Medikamente und eine fachärztliche Behandlung angewiesen. Damit darf sie nach russischem Recht nicht in Verwaltungshaft festgehalten werden. Bei ihrer Festnahme verboten ihr die beteiligten Polizeikräfte, ihr Insulin und andere Medikamente mitzunehmen. Es gibt keine zuverlässigen Informationen darüber, ob sie in der Haft Medikamente und eine angemessene medizinische Versorgung erhält. Ihren Rechtsbeiständen – die von ihrer Familie und Kolleg*innen ihres Sohnes Abubakar Yangulbaev beauftragt worden waren – wurde ohne Rechtsgrundlage verboten, sie zu sehen. Stattdessen legte ihnen ein Angehöriger der tschetschenischen Polizei am 29. Januar ein Schreiben vor, das Zarema Musaeva verfasst und unterzeichnet haben soll. In diesem heißt es, dass sie ihre Dienste ablehne und sich aufgrund ihres schlechten Gesundheitszustands weigere, an Ermittlungen oder anderen Verfahrenshandlungen mitzuwirken.

Seit Jahren nehmen die tschetschenischen Behörden nicht nur ihre Kritiker*innen, sondern auch deren Angehörige im Exil ins Visier. Neben anderen Repressionsmaßnahmen wurden diese wiederholt gezwungen, sich vor laufender Kamera bei der tschetschenischen Führung zu entschuldigen. Ein prominentes Beispiel für diese Praxis ist Salman Tepsurkaev: Am 6. September 2020 "verschwand" der damals 19-Jährige in Gelendschik, in der russischen Region Krasnodar. Salman Tepsurkaev war Administrator des Telegram-Kanals 1ADAT, der für seine Kritik an den tschetschenischen Behörden und die Verbreitung von Informationen über die in Tschetschenien begangenen Menschenrechtsverletzungen bekannt ist. Am 7. September 2020 konnten seine Familienangehörigen sein Mobiltelefon auf dem Gelände eines Polizeiregiments in Grosny lokalisieren. Am selben Tag lief in den Sozialen Medien ein Video, in dem Salman Tepsurkaev zu sehen ist, wie er zur "Strafe" für seine Zusammenarbeit mit der 1ADAT sexuell missbraucht wird. Seit der Veröffentlichung dieses und mehrerer anderer Videos einige Tage später sind das Schicksal und der Verbleib von Salman Tepsurkaev unbekannt. Im Oktober befand der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte, dass Russland für seine willkürliche, nicht anerkannte Inhaftierung und Folter sowie für das Versäumnis verantwortlich ist, die an ihm verübte Folter wirksam zu untersuchen.

 

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