
Russland / Ukraine: Kindergärtnerin zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt
22. Februar 2025Die ukrainische Kindergärtnerin Olha Baranevska aus Melitopol weigerte sich, nach der russischen Besetzung der Stadt aus der Rente zurückzukehren und wieder in ihrem alten Kindergarten zu arbeiten. Im Mai 2024 wurde sie von russischen Sicherheitskräften aus ihrer Wohnung verschleppt und Berichten zufolge gefoltert. Einen Monat später tauchte sie kurzzeitig wieder auf, bevor sie willkürlich festgenommen wurde und zwei 14-tägige Verwaltungshaftanordnungen erhielt. Schließlich warf man ihr vor, Sprengstoff im Garten versteckt zu haben, und verurteilte sie zu sechs Jahren Gefängnis. Das Verfahren gegen sie war unfair, und sie ist bei schlechter Gesundheit.
Die pensionierte Kindergärtnerin Olha Baranevska (Olga Baranevskaya) "verschwand" am 15. Mai 2024 aus ihrem Zuhause in Melitopol. Ein*e Anwohner*in berichtete, gesehen zu haben, wie sie am 19. Mai kurz nach Hause gebracht und dann von drei Männern in Zivilkleidung abgeführt wurde. Olha Baranevska habe Prellungen aufgewiesen. Melitopol ist eine ukrainische Stadt in der Region Saporischschja, die im Februar 2022 von Russland besetzt wurde. Als der Kindergarten, in dem Olha Baranevska früher gearbeitet hatte, unter russischer Besatzung wiedereröffnet wurde, weigerte sie sich mehrfach, wieder dort zu arbeiten.
Das Schicksal und der Aufenthaltsort der Kindergärtnerin waren bis zum 27. Juni 2024 unbekannt, als sie unerwartet bei ihren Eltern auftauchte, ihre Tochter (die im Ausland lebt) anrief und ihr in einer kryptischen Nachricht mitteilte, dass sie allein "in der Dunkelheit" gefangen gehalten worden sei und dass "alles, was [früher] weh tat, geheilt sei". Kurz nach diesem Anruf wurde Olha Baranevska willkürlich von der Polizei festgenommen und mit der Begründung, gegen die Ausgangssperre verstoßen zu haben, mit einer Geldstrafe und zwei 14-tägigen Verwaltungshaftanordnungen belegt.
Unterdessen gaben die Behörden an, im Garten von Olha Baranevska Sprengstoff gefunden zu haben. Im November 2024 verurteilte das Bezirksgericht in Melitopol sie unter Paragraf 222.1(1) des russischen Strafgesetzbuchs (unrechtmäßiger Besitz von Sprengstoff) zu sechs Jahren Gefängnis. Die Beweislage, darunter auch das "Geständnis" von Olha Baranevska, war äußerst fragwürdig. Das Gericht akzeptierte die Tatsache, dass am 7. August 2024 in ihrem Garten Sprengstoff gefunden wurde (während sie sich in Verwaltungshaft befand), ohne ihr Motiv oder die Herkunft des Sprengstoffs zu hinterfragen. Das Unterschieben von Sprengstoff und Erzwingen von selbstbelastenden Aussagen sind übliche Vorgehensweisen der russischen Polizei, um Zivilpersonen zu Unrecht zu inhaftieren.
Olha Baranevska ist 61 Jahre alt und hat Diabetes, wofür sie regelmäßig Insulin einnehmen muss. Sie leidet zudem an weiteren Erkrankungen, die untersucht und behandelt werden müssen. Sie war gezwungen, 2023 die russische Staatsbürgerschaft anzunehmen, um Zugang zur Gesundheitsversorgung zu erhalten. Laut Angaben ihrer Tochter wird sie in der Haft zwar mit Insulin versorgt, doch ihre anderen gesundheitlichen Probleme werden nicht angemessen behandelt. Olha Baranevska erhielt im November im Gefängnis die Nachricht, dass ihre 85-jährige Mutter gestorben sei, was sie seelisch stark belastete.
Amnesty International hat dokumentiert, wie die russischen Besatzungsbehörden ukrainische Lehrkräfte einschüchtern, tätlich angreifen und zur Arbeit zwingen, damit diese den Unterricht für die Kinder vor Ort nach russischem Lehrplan wieder aufnehmen. Laut Recherchen von Amnesty International verfolgt Russland in den besetzten ukrainischen Gegenden eine Strategie des Demografiewechsels, u. a. durch die versuchte Auslöschung der Identität und Kultur der nichtrussischen Bevölkerung.
Hintergrund
Melitopol wurde im Februar 2022 von Russland besetzt. Viele Einwohner*innen verließen die Stadt, um nicht unter der Besatzung leben zu müssen, so auch die Tochter von Olha Baranevska. Die pensionierte Kindergärtnerin blieb jedoch zurück, um sich um ihre Mutter zu kümmern. Olha Baranevska postete Videonachrichten auf Facebook, die in ukrainischer Sprache über das Leben in Melitopol unter der russischen Besatzung berichten. In einem dieser Facebook-Posts ging es um einen Kollegen, der von den Besatzungsbehörden schikaniert wurde, u. a. durch Hausdurchsuchungen, Beschimpfungen und die Zerstörung von persönlichen Gegenständen mit ukrainischen Nationalsymbolen.
Amnesty International hat zahlreiche Menschenrechtsverletzungen an der ukrainischen Zivilbevölkerung und Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht durch die russischen Streitkräfte und Besatzungsbehörden in der Ukraine dokumentiert. Hierzu zählen auch Kriegsverbrechen und mögliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit wie z. B. die Zwangsumsiedlung bzw. Verbringung von Zivilpersonen aus bestimmten besetzten Regionen in der Ukraine. Es gibt zahlreiche Berichte über die Entführung, das Verschwindenlassen, die rechtswidrige Inhaftierung und die Folterung von Zivilpersonen in den russisch besetzten Gegenden der Ukraine. Amnesty International hat zahlreiche solcher Fälle auf der Krim und in der Ostukraine seit 2014 sowie in anderen seither von Russland besetzten Gebieten dokumentiert. Inhaftierte werden in Russland häufig gefoltert und anderweitig misshandelt, u. a. durch die Verweigerung einer angemessenen Gesundheitsversorgung. Zudem wird ihnen systematisch das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren verweigert.
Bitte bis 31. Mai 2025 unterschreiben.