© Amnesty International / Die russische Menschenrechtsverteidigerin Tatjana Kotljar (2. von rechts) bei ihrer Verhandlung vor Gericht
© Amnesty International / Die russische Menschenrechtsverteidigerin Tatjana Kotljar (2. von rechts) bei ihrer Verhandlung vor Gericht
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Russland: Wegen Hilfe für Migrant*innen verurteilt

29. Juni 2023

Die russische Menschenrechtsverteidigerin Tatjana Kotljar hat Hunderten Migrant*innen und Flüchtlingen geholfen, indem sie die Schutzsuchenden an ihrer eigenen Wohnadresse registriert hatte. So konnten diese Zugang zu lebensnotwendigen Sozialleistungen erhalten. Kotljar wurde deshalb zu einem Bußgeld in Höhe von 650.000 Rubeln (umgerechnet etwa 6.800 Euro) verurteilt.

Natalia Zviagina, die für Russland zuständige Direktorin bei Amnesty International, äußerte sich so dazu:

"Tatjana Kotljar wird bestraft, weil sie Hunderten von Menschen, darunter auch Migrant*innen und Flüchtlingen, geholfen hat, indem sie sie großzügig in ihrem Haus anmeldete. Nach russischem Recht müssen die Menschen eine Meldeadresse haben, um Zugang zu Sozialleistungen zu erhalten, ihre Kinder in der Schule anzumelden oder einen Arbeitsplatz zu bekommen. Diese gesetzliche Regelung führt dazu, dass die am stärksten gefährdeten Personen, darunter Obdachlose und Menschen auf der Flucht, weiterhin ausgegrenzt werden. Anstatt dieses Problem zu lösen, konzentrieren sich die Behörden darauf, Menschenrechtsverteidiger*innen wie Tatjana Kotljar zu bestrafen.

Das Strafverfahren gegen Tatjana Kotljar ist ein weiterer Stein, der auf die zerbrechliche russische Zivilgesellschaft geworfen wird. Die russischen Behörden sollten die Verurteilung aufheben, die Registrierungsprobleme von Randgruppen lösen und ihre rücksichtslose Kampagne der Schikanen und Einschüchterungen gegen diejenigen beenden, die sich für die am meisten gefährdeten und verletzlichen Menschen in der Gesellschaft einsetzen."

wiederholt bestraft

Die 72-jährige Tatjana Kotljar ist die Leiterin der Bewegung "Für Menschenrechte" im zentralrussischen Obninsk. Am 28. Juni befand ein Amtsgericht in Obninsk sie der fiktiven Registrierung von Personen an ihrer Wohnadresse (Paragraf 322,2 des Strafgesetzbuches) für schuldig und verhängte eine Geldstrafe von 650.000 Rubel (etwa 6.800 Euro) gegen sie. 

Nach russischem Recht ist jede Person verpflichtet, sich innerhalb von sieben Tagen an ihrem vorübergehenden Wohnsitz und innerhalb von 90 Tagen an ihrem ständigen oder längerfristigen Wohnsitz beim Föderalen Migrationsdienst zu melden. Die Nichtbeachtung stellt eine Ordnungswidrigkeit dar, die mit einer Geldbuße geahndet wird. Nicht registrierte Personen haben keinen Zugang zu medizinischer Versorgung, Bildung und anderen Dienstleistungen und können nicht formell beschäftigt werden. Die Anmeldung bringt bestimmte rechtliche Garantien mit sich, darunter das Recht, an der betreffenden Adresse zu wohnen, und führt zu bestimmten finanziellen Verpflichtungen für die Vermieter*innen, was bei der sehr verbreiteten informellen Wohnungsvermietung von einer Anmeldung abhält. 

In den vergangenen Jahren ist Tatjana Kotljar wegen ihres Einsatzes für Menschen, die nicht registriert sind, darunter Migrant*innen und Flüchtlinge, ehemalige Häftlinge und Menschen, die ihr Zuhause verloren haben, wiederholt bestraft worden. Zuletzt wurde sie im April 2022 zu einer Geldstrafe von 340.000 Rubel (etwa 3.500 Euro) verurteilt, weil sie in ihrer Wohnung Staatsangehörige aus Aserbaidschan, Armenien, Kasachstan und der Ukraine eingetragen hatte.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte erkannte den ungerechten Charakter von Kotljars Verfolgung an und sprach ihr im Juli 2022 eine Entschädigung von 6.000 Euro zu. Die Behörden haben das Urteil jedoch nicht umgesetzt, da Russland, das nicht mehr Mitglied des Europarats ist, die Zuständigkeit des EGMR nicht anerkennt.